Corona-Virus: Verbraucherschutzverein plant Sammelklage gegen Tirol
Der Ski-Hotspot Ischgl gilt für viele mittlerweile als Drehscheibe des Corona-Virus. Immer lauter werden die Stimmen, die sagen: Man hat falsch reagiert. Man hat die Gefahr nicht ernst genug, das Geld wichtiger genommen als die Gesundheit. Und nun ist beides weg. Das betrifft aber nicht nur Betriebe und Mitarbeier, sondern auch viele Skifahrer, die krank aus dem Urlaub heimgekehrt sind und das Virus dadurch möglicherweise in ganz Europa verteilt haben. Ischgl habe Warnungen ignoriert, heißt es – denn sowohl Island als auch das ZDF hätten Behörden eindrücklich auf Fälle hingewiesen.
Nun hat der Verbraucherschutzverein (VSV) eine europaweite Sammelaktion für Personen gestartet, die davon ausgehen, sich beim Ski-Urlaub in Tirol mit dem Corona-Virus angesteckt zu haben. «Ischgl und das Paznauntal, St. Anton am Arlberg, Sölden und das Zillertal sind solche Hotspots gewesen, bei denen es massive Hinweise gibt, dass die Tiroler Behörden – offenbar im Interesse der Tourismusbetriebe – Sperren von Pisten und Hotels hinausgezögert haben könnten», sagt VSV-Obmann Peter Kolba. Mit dieser Meinung scheint er nicht alleine zu sein: Bereits mehr als 2700 Geschädigte haben sich innerhalb einer Woche gemeldet.
Wie läuft eine Sammelklage ab?
Zuallererst sammelt der Verbraucherschutzverein Daten von Betroffenen. Wer hat sich wann wo aufgehalten? Wie haben die Betriebe über die Lage informiert? Gab es vor der Abreise Hinweise auf das Corona-Virus? Solche und andere Fragen beantworten Geschädigte auf der Webseite des VSV.
Wozu das gut sein soll? Wer sich ab dem 5. März in den Ski-Gebieten Ischgl, Paznauntal, St. Anton am Arlberg, Sölden oder Zillertal aufgehalten hat und danach positiv auf das Corona-Virus getestet wurde, hat eventuell Schadensersatzansprüche. «Die weltweite Pandemie mit dem Corona-Virus ist höhere Gewalt und man kann niemanden für erlittene Schäden verantwortlich machen. Das Offenhalten von Ski-Gebieten, obwohl man von einer Gefahr der massenhaften Ansteckung weiß oder wissen müsste, ist aber sehr wohl ein Grund, Schadenersatzansprüche zu prüfen», stellt der VSV auf seiner Webseite klar.
Die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg einer Schadensersatzklage: Durch Berichte oder im Strafverfahren muss sich die Nachlässigkeit beweisen lassen. Wenn das der Fall ist, haben die Geschädigten Ansprüche – gegen die Tiroler Behörden, aber auch gegen die Republik Österreich. So berichtet es der Verein. Er wird den Betroffenen laut offizieller Mitteilung anbieten, sich einem Strafverfahren als Privatbeteiligte anzuschließen.
Wer sind die Sammelkläger?
In der Datenbank der VSV haben sich mittlerweile mehr als 2700 Betroffene registriert. Die meisten von ihnen sind Deutsche, heißt es seitens des Vereins. Aber auch Österreicher, Schweizer sowie Nordeuropäer finden sich auf der langen Liste, berichtet Obmann Peter Kolba der österreichischen Tageszeitung Die Presse.
Zu den Fällen zählen laut deren Bericht auch Menschen, die aufgrund des Corona-Virus Angehörige verloren haben oder auf die Intensivstation mussten. Einigen hätten Betriebe, in denen sie genächtigt haben, sogar versichert, «virusfrei» zu sein. Alles gut also? Eher nicht. Denn von den möglichen Folgen wollte man in Tirol Anfang März nichts wissen: So lautet zumindest der Vorwurf des VSV.
Was fordert der Verbraucherschutzverein?
Bereits vergangenen Dienstag hat der Verbraucherschutzverein deswegen gegen die Tiroler Behörden eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft eingebracht. Darüber informieren die Zuständigen auf der Webseite des Unternehmens. Sollte die Untersuchung sich hinauszögern, würde Kolba auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft einschalten, sagt er der Presse.
Und selbstverständlich steht auch die Sammelklage im Raum: «Wenn die Staatsanwaltschaft in Tirol meint, aufgrund von Medienberichten nicht tätig werden zu wollen, dann werden wir in Kürze sehr viele Zeugen und Schilderungen Betroffener anbieten können, die den Verdacht, dass aus kommerziellen Gründen die Schließung der Ski-Gebiete verzögert wurde, verstärken. Natürlich gilt aber für die Angezeigten die Unschuldsvermutung.»
Laufen die Ermittlungen bereits?
Auf Anfrage der APA erklärte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Innsbruck, dass die Ermittlungen noch nicht eingeleitet wurden. „Wir führen derzeit keine Ermittlungen aufgrund eines konkreten Verdachts gegen konkrete Personen“, sagte Hansjörg Mayr am Montag. Die Polizei sei allerdings damit beauftragt worden, einen Bericht darüber zu erstatten, „wer wann über welche Informationen verfügt hat und wie darauf reagiert wurde“, berichtet der ORF.
Gastro-Mitarbeiter in Tirol zur Abfahrt gedrängt
Aber nicht nur Touristen, auch Mitarbeiter aus Hotellerie und Gastronomie klagen über Vertuschung und falsche Anweisungen. Unter anderen legt der Rechercheblog Semiosis einen äußerst pikanten Fall offen. Er schreibt über die Situation eines Kochs aus Ischgl.
Im Wortlaut berichtet der: «Am 12.3. ging’s dann ganz schnell: Alle bis auf zwei Köche sind an diesem Tag schon gebeten worden, die einvernehmliche Kündigung zu unterzeichnen und ihre Unterkunft und das Tal so schnell wie möglich zu verlassen. Diese Einvernehmliche haben wir aber nicht unterschrieben. Dennoch wurden uns Arbeitsbescheinigungen ausgestellt und darauf gedrängt, dass wir Ischgl am besten am selben Tag verlassen.»
Und als die Meldung über die Quarantäne-Meldung kam, mussten endgültig alle raus: «Daraufhin wurden wir alle, die noch da waren, aus unseren Zimmern gejagt.» Die Bitte nach einem Arzt sei abgelehnt worden, auch der Hausarzt testete ihn nicht, erklärt der Koch gegenüber Semiosis. Abreisen muss er trotzdem – obwohl das laut Quarantäne-Verordnung nun nicht mehr erlaubt ist.
Auch bei der VSV melden sich jede Menge Saisonarbeiter. Damit sich auch Menschen aus dem Ausland beteiligen können, gibt es den Fragebogen nun auch auf Englisch. Ob es am Ende Schadenersatz gibt, bleibt abzuwarten. Fest steht: Der Fall Ischgl dürfte die Staatsanwaltschaft wohl noch länger beschäftigen.
www.verbraucherschutzverein.at
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