Enigma: Albert Adriàs neues Restaurantkonzept

Albert Adrià erschafft neue Welten. Für sich und für andere: Das Enigma soll die Gastronomie wie wir sie kennen, an neue Grenzen bringen.
Mai 18, 2017 | Fotos: Claudio Martinuzzi, Pepo Segura

Die Traumdeuter

Sie ist die Kirsche auf dem Sahnehäubchen vom Kuchen Barri Adrià. Enigma, die Königin der Konzepte im Barri Adrià – dem Viertel in Barcelona, das Albert Adrià eine Hausecke um die andere mit Konzepten, eines innovativer als das andere, bepflastert hat. Kulinarischer Freizeitpark eines Gastro-Genies nennen es die einen, Gastronomie in einer neuen Dimension die anderen. Tickets, Pakta, Hoja Santa und wie sie alle heißen – mit insgesamt sechs Restaurants, alle wenige Hundert Meter voneinander entfernt – hat Albert Adrià sich und seiner Familie im Herzen von Barcelona ein Denkmal geschaffen.

Das vierköpfige Gastro-Monster: Der Anspruch von Küchenchef Oliver Peña, Chefsommelière Christina Losada, Mastermind Albert Adrià und Barchef Marc Álvarez (v. li. n. re.) im Enigma in Barcelona ist kein geringerer, als die Gastronomie aus ihren Angeln zu heben.

Die Traumdeuter

Sie ist die Kirsche auf dem Sahnehäubchen vom Kuchen Barri Adrià. Enigma, die Königin der Konzepte im Barri Adrià – dem Viertel in Barcelona, das Albert Adrià eine Hausecke um die andere mit Konzepten, eines innovativer als das andere, bepflastert hat. Kulinarischer Freizeitpark eines Gastro-Genies nennen es die einen, Gastronomie in einer neuen Dimension die anderen. Tickets, Pakta, Hoja Santa und wie sie alle heißen – mit insgesamt sechs Restaurants, alle wenige Hundert Meter voneinander entfernt – hat Albert Adrià sich und seiner Familie im Herzen von Barcelona ein Denkmal geschaffen.

 

Und mit Enigma dem Ganzen das Krönchen aufgesetzt. Keine andere Eröffnung war international so gehypt wie die dieses rätselhaften Restaurants. Kein Geheimnis besser behütet. Mehr als 3,2 Millionen Euro soll der Gastronom für die Verwandlung von 7534 Quadratmetern in Enigma hingeblättert haben. Sitzplatzkapazität: 24 Gäste. Und der Rest vom Platz? Reserviert für die Erfahrung Enigma, die schon drei Quadratmeter vor der Eingangstür startet.

Wer hier nämlich dinieren möchte, muss sich erst einmal für einen Code registrieren, den er bei Bestätigung der Reservierung erhält. Die Warteliste für einen der begehrten 24 Plätze im Enigma ist nach gewohnter Adrià-Manier: lange. Sehr lange. Der Glückliche aber, der an einer unscheinbaren Straßenecke zwischen Kiosk und Hunde-Pinkel-Baum den Code in ein kleines schwarzes Kästchen tippt, wird diese Welt für zumindest einige Stunden verlassen. Komplett.

Im Bauch des Riesen

Den Geheimcode korrekt eingetippt, der sich nach Eingabe selbst zerstört beziehungsweise nicht mehr gültig ist, geht man also einen langen geschwungenen Gang entlang. Allein, Allein. Nichts ist zu sehen, nichts zu hören. Gerade so viel Licht strahlt von der mit Wölkchen gepflasterten Decke, dass man seine Füße sicher einen vor den anderen setzt.

Das vierköpfige Gastro-Monster: Der Anspruch von Küchenchef Oliver Peña, Chefsommelière Christina Losada, Mastermind Albert Adrià und Barchef Marc Álvarez (v. li. n. re.) im Enigma in Barcelona ist kein geringerer, als die Gastronomie aus ihren Angeln zu heben.

Dann eine Drehung: der Detox-Raum. Das Team klärt letzte weltliche Details wie Allergien oder Abneigungen ab und schon heißt es den Alltag weit hinter sich lassen. Einen Hint von Yoga-Musik hat er schon der Minimal Electro, der hier aus der Wolkendecke strömt. Die kompetente Servicemannschaft in faltiges Grau gekleidet, sodass sie vor den Plexiglasscheiben, die Enigma in verschiedenste Zonen teilen, fast verschwinden. Hier soll alles eins sein. Ein Enigma. Eine Erfahrung.

„Ich hatte schon recht früh eine Vorstellung davon, wie Enigma sein soll. Daran hat sich bis zur Umsetzung nicht viel geändert“, so Albert Adrià. Tja und andere haben diese Welt vor sich beziehungsweise stecken mittendrin und sie ist ihnen immer noch nicht ganz greifbar. Das ist eben der Unterschied zwischen den Adriàs und dem Rest der Welt.

Food Enigma Albert Adrià

Nach „Cherryboshi“ und „Yuzu Cristal“ zum Entgiften geht es weiter in den Raum der Küchengrüße. Hier zeigen die ersten Happen, wohin die Reise geht – in mehr als 40 Gängen: Ein bisschen elBulli, etwas Show und trotzdem zieht das Produkt den roten Faden durch das Menü. Aussehen tut es wie bei der Eiskönigin – eisiges Silber gibt den Ton an. Der Hintern auf gepolsterten Eisschnitzereien geparkt. Aus Plexiglas. Großmutters heimelige Stube ist es also nicht. Aber: Es ist nicht ungemütlich, und auch nicht kalt. Grau, Silber, Wasserfall- und Höhlenoptik von ihrer sympathischen Seite, auf 7534 Quadratmetern, auf Boden, Tischen, Küchenblock und Decke.

Das Aushebeln der Aggregatzustände

Im nächsten Raum, denn hier kommt der Gang nicht zu den Gästen, sondern die Gäste zum Gang, zeigt Marc Álvarez, was Cocktails alles sein können. Im Enigma gibt es keine flüssige und keine feste Welt. Aggregatzustände zählen nicht. Manchmal ist das Getränk zuerst da und der Gang entsteht dazu, oder umgekehrt. Oder das Getränk ist der Gang. So wie bei „Parmesan-Sphäre und Himbeere“ oder dem perfekten Ensemble an Geschmäcken aus „Shiso mit Ugli und Passionsfrucht zu Ingwer und Kumquat“.

Schließt man die Augen, hat man wie Ratte Rémy aus dem Disney-Streifen ein Konzert an verschiedenen Aromen um sich tanzen, sodass einem ganz schwindelig wird. Albert Adrià fordert seine Gäste. Wer hierherkommt, bekommt nicht nur Essen, sondern auch Geistesnahrung. Gerichte, Konzepte und Menschen, die den Intellekt fordern. Aber trotzdem nur so viel, dass man schon auch noch genießen kann.

Dass diese Balance gelungen ist, ist eines der größten Kunststücke im Enigma. Und von Albert Adrià natürlich bis ins kleinste Detail kalkuliert: „Ich habe Elemente im Enigma, die aus der populären Küche stammen. Andere Gerichte oder Details sind fordernd und vermitteln eine Nachricht, die vielleicht nicht jeder versteht oder es nicht möchte. Muss er auch nicht.“

Stager Gabriel mischt den nächsten Drink: „Mae Thae“. Eine Stage bei Marc Álvarez, das ist ein Traum, der in Erfüllung geht für den Bartender aus Sevilla. Denn nicht nur alle Welt will hier essen, auch arbeiten will sie hier. „Warum also nur Stages in der Küche vergeben?“, so Albert Adrià.

Wer durch diese Schule geht, wird von einem der besten Teams der Welt geformt. Das seinen Beruf nicht nur versteht, sondern lebt. Enigma lebt. Denn auch wenn hier alles grau in grau ist, so ist jede einzelne Person in diesem ganzen Spektakel eine schillernde Persönlichkeit, die ihre geballte Kompetenz mit einbringt. „Anders bringt man sich gar nicht auf den Plan im Universum Adrià“, erklärt Guilherme, Brasilianer, der für Enigma Barcelona zu seiner neuen Heimat macht.

#In der Küche werkt allen voran Küchenchef Oliver Peña. Unterwegs auf einer Welle Enigma-Adrenalin. Der Wunsch ist noch nicht einmal ausgesprochen, schon ist er erfüllt. Konzentriertes leises Arbeiten auf grauen Küchenblöcken. Beinahe keine Worte. Augenkontakt reicht. Mittendrin Albert Adrià, der mit einem demütigen Lächeln sanft den Kopf zum Gruß neigt. Ein Mann und so viele Ideen. Es ist nicht zu glauben. Noch nie hat so etwas Graues so bunt gewirkt.

Die Feuerstelle im Enigma

Die rätselhafte Gastro-Reise geht weiter an einen offenen Grill: Hier geht es um die Interaktion der Küche mit dem Gast. Und um „Blini-Cannelloni mit geräucherter Creme und Fischrogen“ sowie „Seegurke mit iberischem Schinken und Pil-Pil-Sauce“. Der Grill ist der Tisch. Man kommt ins Gespräch mit Engländern, Spaniern und Amerikanern.

Alle sind sie irgendwie verhalten – viele Eindrücke, die gerade im Hirn Tango tanzen, und trotzdem: Die Stimmung ist entspannt. Guilhermo und Maxime hinter dem Grill bereiten wie selbstverständlich kleine Inspirationen zu und erzählen von ihrem Leben im Universum Adrià.

Eine Hand wäscht die andere: Bearbeitet einer alle Seeigel, dauert das 15 Stunden, zu zweit sind es nur noch sieben Stunden, bei vier Menschen und acht Händen noch knapp vier… Ein ­Konzept, das bei mehr als 40 Gängen mehr als Sinn macht.

Danach geht es um die Seegurke. Warum diese eigentlich lange ein wenig geschätztes Produkt in Katalonien war, versteht man bei diesem Gericht zumindest nicht. Doch so schnell wie der Grill angeheizt war, so rasch erlischt er auch wieder. Dieses Spektakel ist Geschichte. Chefsommelière Christina Losada bittet zur Weiterreise, nachdem sie mit 30 Jahre alten Sake-Stilen den Grill in flüssiger Form veredelt hat.

Die Reise geht weiter

Zumindest gibt es so etwas wie einen Hauptraum, man ist jetzt im Wohnzimmer der Eiskönigin. Oder in der Höhle hinter einem Wasserfall. Auf jeden Fall in einer Welt, in die man nicht so einfach kommt. Und aus der auch nichts hinaussickert. Bilder vom Essen zu posten, ist untersagt.

Adrià: „Jeder muss Enigma weitertragen.“ Und so hat auch wirklich niemand vorher eine Ahnung, was es bedeutet, „Amelie-Enigma-Auster mit Daikon-Spiegel“ zu essen oder „Krabben- und Hühnersaft“ zu trinken. Das Menü wechselt oft. Der Anspruch bleibt derselbe: nichts, was schon einmal da gewesen ist.

Das Grand Finale gibt es dann im 41°. Ja, genau, dem Restaurant, das in der jetzigen Pâtisserie des Tickets noch vor einiger Zeit maximal 16 Gäste mit Adrià-Avantgarde versorgte, und dann schloss, um als Speakeasy-Bar im Enigma aufzuerstehen. Die knapp zwei Tonnen schwere Bar im Ganzen zu transferieren, ist schließlich nicht gewichtig genug, um Albert Adrià zu stoppen. Man fragt sich, ob überhaupt irgendetwas gewichtig genug ist.

Der Entenschenkel und der Fotograf

Ein Stück Ente wiegt jedenfalls schwer genug, um Fotografen in dieser Welt eine Pause aufzuzwingen. Der kam beim Fotoshooting nämlich dazwischen und stellte sein Haxl. Denn bis Albert Adrià diesen neu eingetroffenen Zuwachs in seiner Denkküche nicht angebraten, auf Niedertemperatur gegart und einen Teil zu Carpaccio verarbeitet hatte, gab es kein Füße-Stillhalten beim Gastronomen.

Kurz bevor es durch die eiserne Türe nach „Der Perle und der Birne“ und „Apfel mit rotem Curry, Thai-Gewürzen und Kokosnuss“ wieder hinaus in die Wirklichkeit geht und die Tür – nun doch eiskalt – ins Schloss fällt, damit die Wirklichkeit ihre grauen Schatten werfen kann, sieht man hinter den Wasserfällen noch kurz Albert Adriàs Lockenkopf wiegen. Er ist in seiner Denkküche, die direkt an die Enigma-Küche angrenzt. Es ist 1:25 Uhr nachts. Wahrscheinlich ist es Zeit für Schritt zwei des Entenfußes.

www.enigmaconcept.es

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