Streit Thema Heringskaviar
Fotos: Shutterstock, Werner Krug, Peter Schulte für CPA!, Hotel Traube Tonbach, BOSFOOD, beigestellt
Als „Kunstprodukt aus geräucherten Heringsabfällen“ ist er in letzter Zeit in den Medien aufgetaucht. Er sieht aus wie Kaviar. Geschmacklich zeichnen ihn ein Hauch von Zitronen und eine rauchige Note aus. Heringskaviar – kaum ein Lebensmittel sorgte in letzter Zeit für mehr Diskussionen. Seit dem Erscheinen des neuen, deutschen Gault Millau Mitte November macht Avruga, wie das Kaviarimitat auch genannt wird, Schlagzeilen. Der Grund: Viele Spitzenköche hatten mit Avruga gearbeitet und wurden deshalb vom Chefredakteur des Gault Millau, Manfred Kohnke, abgewertet. Nun ist Kohnke kein unbeschriebenes Blatt in Gourmetkreisen. Schon einige Male geriet er wegen seiner Kritiken in die öffentliche Diskussion. Beispielsweise, als er vor einiger Zeit den französischen Koch Jean-Claude Bourgueil abwertete, weil er Glutamat in seinem Restaurant verwendet hatte.
Grund der jetzigen, heftigen Reaktionen ist auch, dass neben einigen anderen Spitzenköchen der „Koch des Jahres“ vom Vorjahr, Nils Henkel, zu den „Opfern“ des Gault-Millau-Kritikers zählt. Henkel verweigert in dieser Sache im Übrigen jeden Kommentar. Nicht so der Gourmetkritiker der FAZ, Jürgen Dollase, der Kohnke vorwirft, mit derlei Maßstäben zur Beurteilung von Spitzengastronomie würde die Freiheit der Köche massiv eingeschränkt werden (siehe Interview auf Seite 43).
Ist es denn wirklich so verwerflich, in der Spitzengastronomie mit Zutaten wie Heringskaviar zu experimentieren? „Ja”, findet Harald Wohlfahrt, Chefkoch der Schwarzwaldstube in Baiersbronn (3 Michelin-Sterne). Er könne Kollegen nicht…
Fotos: Shutterstock, Werner Krug, Peter Schulte für CPA!, Hotel Traube Tonbach, BOSFOOD, beigestellt
Als „Kunstprodukt aus geräucherten Heringsabfällen“ ist er in letzter Zeit in den Medien aufgetaucht. Er sieht aus wie Kaviar. Geschmacklich zeichnen ihn ein Hauch von Zitronen und eine rauchige Note aus. Heringskaviar – kaum ein Lebensmittel sorgte in letzter Zeit für mehr Diskussionen. Seit dem Erscheinen des neuen, deutschen Gault Millau Mitte November macht Avruga, wie das Kaviarimitat auch genannt wird, Schlagzeilen. Der Grund: Viele Spitzenköche hatten mit Avruga gearbeitet und wurden deshalb vom Chefredakteur des Gault Millau, Manfred Kohnke, abgewertet. Nun ist Kohnke kein unbeschriebenes Blatt in Gourmetkreisen. Schon einige Male geriet er wegen seiner Kritiken in die öffentliche Diskussion. Beispielsweise, als er vor einiger Zeit den französischen Koch Jean-Claude Bourgueil abwertete, weil er Glutamat in seinem Restaurant verwendet hatte.
Grund der jetzigen, heftigen Reaktionen ist auch, dass neben einigen anderen Spitzenköchen der „Koch des Jahres“ vom Vorjahr, Nils Henkel, zu den „Opfern“ des Gault-Millau-Kritikers zählt. Henkel verweigert in dieser Sache im Übrigen jeden Kommentar. Nicht so der Gourmetkritiker der FAZ, Jürgen Dollase, der Kohnke vorwirft, mit derlei Maßstäben zur Beurteilung von Spitzengastronomie würde die Freiheit der Köche massiv eingeschränkt werden (siehe Interview auf Seite 43).
Ist es denn wirklich so verwerflich, in der Spitzengastronomie mit Zutaten wie Heringskaviar zu experimentieren? „Ja”, findet Harald Wohlfahrt, Chefkoch der Schwarzwaldstube in Baiersbronn (3 Michelin-Sterne). Er könne Kollegen nicht …
… verstehen, die Avruga auf ihre Karte setzen. Interessant an dieser Aussage ist, dass auch Herr Wohlfahrt in die Kritik geriet, weil er Heringskaviar verwendete. „Allerdings nur im Rahmen des Zikusspektakels PALAZZO und nur unter deutlicher Deklaration. Ich wollte das rauchige Aroma des Kaviars für mein Gericht verwenden. Das Publikum war hier ein komplett anderes als in meinem Restaurants. Für eine Vorspeise für zehn Euro kann man eben keinen echten Kaviar erwarten. In meinem eigenen Haus würde ich jedoch niemals mit einem solchen Ersatzkaviar arbeiten. Da kommen nur echte Zutaten auf den Teller.” Eine Kerbe, in die auch Gerhard Fuchs, Chefkoch des Restaurant Kreuzwirt am Pössnitzberg (drei Hauben), schlägt. Allerdings mit gewissen Einschränkungen: „Wenn es der Konsument verlangt, kann ich durchaus Kollegen verstehen, die Produkte wie dieses in ihre Karte aufnehmen. Das entspricht nur dem Geschäftssinn. Ich selbst bin allerdings gegen E-Nummern und andere Zusatzstoffe.”
Stefan Marquard, Fernsehkoch und „Vater” der „jungen wilden” kann der Entscheidung von Manfred Kohnke wenig abgewinnen. „Wenn das Produkt richtig deklariert wurde, ist nichts Verwerfliches daran, es auf die Karte zu setzen.” Er selbst habe noch nie mit Heringskaviar gearbeitet: „Ich verwende grundsätzlich keinen Kaviar, ob vom Stör oder als Imitat, irgendwo einen Klecks Kaviar draufzugeben, hat für mich wenig mit Kochen zu tun.”
Und was sagt die Wissenschaft?
„Rein wissenschaftlich betrachtet, ist Avruga völlig unbedenklich”, so der Professor der theoretischen Physik Dr. Thomas Vilgis (siehe Interview rechts). Solange es sich bei den Heringsabschnitten nich um Reste handle, die tagelang ungekühlt vor sich hin faulen.
Das Bindemittel Xanthan, das einen großen Teil des Heringskaviars ausmacht, besitzt eine Bio-Zulassung. Auch die übrigen Zutaten, Salz, Maisstärke, Zitronensaft, Zitronensäure und Sepiatinte, gelten nicht als gesunheitsgefährdend. Es ist allerdings anzumerken, dass Manfred Kohnke nie behauptet hatte, dass Avruga möglicherweise Folgen auf die Gesundheit haben könnte.
Zum Schluss werfen wir wir noch einen kurzen Blick nach Österreich. Genauer gesagt zu dem Herausgeber des Österreichischen Gault Millau, Karl Hohenlohe. Würde er es seinem deutschen Kollegen gleichtun? Wäre Avruga auch für ihn ein Grund, Spitzenköche, die zuvor noch hochgelobt wurden, abzustrafen? Mitnichten! „Warum sollte das ein Grund sein, jemanden abzuwerten? Dieses Produkt ist ja nicht schlecht. Verwerflich wäre es allerdings, wenn der Gastwirt das Produkt absichtlich missverständlich deklariert”, so Hohenlohe. „Solange der Gast nicht getäuscht wird, liegt es in seiner Eigenverantwortung, ob er ein solches Produkt will oder eben nicht. Auch in der Spitzengastronomie findet man mündige Gäste.” Als Kriterium für den Österreichischen Gault Millau wird der Gebrauch von Heringskaviar also auch in Zukunft keine Rolle spielen.
Bleibt noch ein letzter Aspekt, den Manfred Kohnke gewohnt süffisant auf seiner Homepage anführt: Echter Kaviar wird immer teurer, da die Störe vom Aussterben bedroht sind. Es ist also an der Zeit, sich nach Alternativen umzusehen. Sollte der Weg, sein „ökologisches Gewissen” zu beruhigen darüber gehen, künstliche Produkte wie den Heringskaviar zu unterstützen, oder liegt der richtige Weg im Verzicht auf derartige Produkte? Das ist wohl letztendlich doch Teil der freien Meinungsbildung.
Prof. Dr. Thomas Vilgis, Professor der theoretischen Physik an der Universität Mainz
Neben seiner Lehrtätigkeit arbeitet der gebürtige Baden-Württemberger im Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz und untersucht dort die physikalischen Aspekte des Essens. Zudem publiziert er populärwissenschaftliche Bücher und Artikel über dieses Gebiet und ist Herausgeber der Zeitschrift „Journal Culinaire“.
Avruga ist Kein Heringsabfall
ROLLING PIN: Was halten Sie grundsätzlich von synthetischen Lebensmitteln wie Avruga eines ist?
Prof. Dr. Thomas Vilgis: Vom gesundheitlichen Aspekt ist nichts dagegen einzuwenden. Es handelt sich bei Avruga um ein von der Lebensmittelindustrie kontrolliertes Produkt. Den Ausdruck „Heringsmüll”, der in diesem Zusammenhang des Öfteren gefallen ist, halte ich für vermessen. Es handelt sich um Heringsabschnitte und es ist nur legitim, wenn man alles vom Hering verwendet und nicht die Hälfte wegschmeißt.
RP: Dann ist auch das Bindemittel Xanthan gesundheitlich unbedenklich?
Vilgis: Xanthan gilt als eines der am wenigsten bedenklichen Produkte zum Binden von Saucen und Milchprodukten. Es sorgt für ein herrliches Mundgefühl in leicht schaumigen Konsistenzen. Man findet es beispielsweise in Ketchup und es besitzt eine Bio-Zulassung. Dass Xanthan auch im Tapetenkleister zu finden ist, wie bei Herrn Kohnke zu lesen ist, stimmt im Übrigen nicht. Vielleicht sollte man sich erst einmal über die Dinge informieren, die man verteufelt.
RP: Hat Avruga Ihrer Meinung nach also eine Berechtigung in der Spitzengastronomie?
Vilgis: In der Spitzengastronomie erwarte ich Kreativität und handwerkliche Leistungen. Dafür zahle ich auch entsprechend. Ich bin nicht dafür, dass Spitzenköche irgendwelche Convenienceprodukte verwenden. Würden sie den Kaviar jedoch selbst herstellen …
Jürgen Dollase, gastronomiekritiker und Journalist
Geboren in Oberhausen im Ruhrgebiet, studierte Jürgen Dollase Kunst, Musik und Philosophie in der Kunstakademie Düsseldorf und in der Universität Köln. Nach einer 13-jährigen Karriere als Rockmusiker fing er 1993 an, über die Kochkunst zu schreiben. Seit 1999 berichtet er unter anderem regelmäßig in der FAZ.
Dollase: es zeigt nur, wie kleingeistig der oberlehrer des Gault Millau ist
ROLLING PIN: Ist der Begriff „Heringsmüll“ gerechtfertigt?
Jürgen Dollase: Nein – und es ist bedauerlich, dass dieses Wort von einem so einflussreichen Kritiker wie Herrn Kohnke stammt. Folgte man seinen Gedanken weiter, müsste man auch Fischfonds verbieten, die ebenfalls auf Fischabfällen basieren.
RP: Könnte man Produkte wie Surimi mit Avruga vergleichen?
Dollase: Nein, so würde ich das nicht sehen. Aber allgemein gesprochen: Es gibt so viele Produkte, die pestizidbelastet sind oder der Gesundheit anderweitig schaden. Diese Nahrungsmittel sollten bei der Bewertung von Essen im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Das im jetzt so verteufelten Produkt Avruga enthaltene Xanthan mit Tapetenkleister gleichzusetzen, wie Herr Kohnke es tut, zeigt nur mal wieder wie kleingeistig die Oberlehrer des Gault Millau eigentlich sind.
RP: Ist es vertretbar, wenn ein renommierter Kritiker wie Kohnke einzelne Nahrungsmittel als zweitklassig abwertet?
Dollase: Auf gar keinen Fall! Wenn man damit anfängt, landet man ganz schnell bei George Orwell und seiner Gedankenpolizei. Heute missfällt den Kritikern Heringskaviar, morgen vielleicht Zander. Sollen die Köche erst nachfragen, bevor sie eine Zutat benutzen?
RP: Die Linie, die Kohnke bei seiner Beurteilung einschlägt ist aber doch sehr eindeutig, angefangen bei seinem bekannten Missfallen gegenüber der Molekularküche.
Dollase: Ich will Ihnen dazu mal eine kleine Geschichte erzählen: Vor einigen Monaten wurden nach einem Essen in Heston Blumenthals Restaurant „The Fat Duck“ in London 500 Menschen krank. Die Presse schob die Schuld sofort der Molekularküche zu, die dort serviert wurde. Erst vor Kurzem kam heraus, dass die Ursache Austern waren, die in unreinen Abwässern gezüchtet worden sind.
RP: Zurück zum Heringskaviar als Zutat. Wie stehen Sie eigentlich zu solchen Alternativen zum teuren, „echten“ Kaviar?
Dollase: Ich bin prinzipiell gegen Kaviar, also sagt mir auch Avruga nicht zu. Die gesamte Spitzengastronomie sollte wieder auf den Boden zurückgeholt werden, ohne diese ganzen Luxusprodukte.
RP: Also doch einer Meinung mit Kohnke?
Dollase: Nein, denn Herr Kohnke arbeitet mit Argumenten, die beispielsweise von Herrn Prof. Dr. Vilgis schon längst widerlegt wurden. Zudem bauscht der Gault Millau die ganze Diskussion nur unnatürlich auf.
Das sagen die Sterneköche
Gerhard Fuchs, Chefkoch im „Kreuzwirt“, Pössnitzberg
„Für mich kein ehrliches Produkt“
Ich persönlich verwende ausschließlich Saiblings- oder Störkaviar. Prinzipiell nutze ich für meine Küche ehrliche Produkte. Die Entscheidung von Herrn Kohnke geht deshalb in die richtige Richtung. Es gibt unter den Köchen schon viel zu viele Schäumchenschläger, die sich mehr auf das Dekorieren als das Kochen verstehen.
Ali Güngörmüs, Chefkoch „Le Canard“, Hamburg
„Dieses Produkt hat mit Kaviar nichts zu tun“
Ich habe Heringskaviar einmal probiert. Das hat mit den normalen Kaviar nichts zu tun. Ich muss Kohnke ehrlich gesagt recht geben. Ich würde dieses Produkt weder kaufen, noch verarbeiten. Wenn meine Gäste Kaviar haben wollen, dann bekommen sie den echten, aber dafür müssen sie auch den echten Preis bezahlen. Mit einem Ersatzprodukt will ich jedenfalls nicht arbeiten.
Harald Wohlfahrt, Chefkoch „schwarzwaldstube“, Baiersbronn
„Es sollte klar deklariert sein“
Grundsätzlich ist dieses Produkt aber auf dem Markt zugelassen, es spricht also Nichts dagegen, es einmal auszuprobieren. Der geschulte Gast wird den Unterschied zu echtem Kaviar sofort herausschmecken. Auch wenn ich das Produkt für mein Haus nie verwenden würde, hat es, gut deklariert, durchaus seine Legitimation. Ob man es aber einem so hoch gestellten Publikum wie Kritikern des Gault Millau serviert, steht auf einem anderen Blatt.