Sojasauce: In der Länge liegt die Würze
Jahresanfänge sind bekanntlich nicht nur die Zeit nobler Vorsätze, sondern auch die der Trendforscher. Worauf stürzen sich dieses Jahr die hungrigen Massen? Und was ist endgültig vorbei, also im wahrsten Sinne des Wortes – gegessen? Das Erstaunliche an diesem alljährlichen Ritus: So richtig neu ist es selten, was man da so liest. Und das ist auch ganz gut so.
Jahresanfänge sind bekanntlich nicht nur die Zeit nobler Vorsätze, sondern auch die der Trendforscher. Worauf stürzen sich dieses Jahr die hungrigen Massen? Und was ist endgültig vorbei, also im wahrsten Sinne des Wortes – gegessen? Das Erstaunliche an diesem alljährlichen Ritus: So richtig neu ist es selten, was man da so liest. Und das ist auch ganz gut so.
Schließlich beweist der hartnäckige Diskurs, dass es bei Trends naturgemäß um langanhaltende Entwicklungen und nicht um exzentrische Eintagsfliegen geht, die genauso schnell wieder verschwinden wie sie aufgetaucht sind. Begriffe wie Veganismus, Umami oder Fermentation – nur um drei zu nennen – machen also schon länger die Runde und sind gerade deswegen aus dem zeitgemäßen Kulinarik-Wortschatz nicht mehr wegzudenken. Der Zufall will es, dass sich in einem ganz bestimmten Produkt diese drei Begriffe wie in keinem anderen konzentrieren: Sojasauce. Nicht umsonst erlebt sie einen geradezu schwindelerregenden Aufwärtstrend.
Allein in Deutschland belegen das die Zahlen. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Import des „Maggi des Fernen Ostens“ mehr als verdoppelt – und das, nachdem er in den Jahrzehnten davor lediglich stagniert und phasenweise sogar gesunken war. Rund 21.000 Tonnen Sojasauce wurden im Jahr 2020 nach Deutschland importiert. Und darin enthalten sind noch nicht einmal jene Sojasaucen, die nicht aus Japan oder China importiert wurden, sondern in Deutschland selbst produziert werden. Denn auch von diesen gibt es immer mehr.
Für dieses Projekt braucht’s einen verrückten Hund Mit Ausreichend Platz.
Zwei Dinge, die für Roland Trettl nur auf einen zutreffen: Seinen Soja-Partner in crime Hans Reisetbauer
Für Österreich fehlen verlässliche Sojasaucen-Statistiken (noch). Fest steht jedenfalls: Auch hierzulande erfreut sich die beliebteste Würzsauce der Welt zunehmender Beliebtheit. Und auch hier sind Konsumenten, so scheint es, immer weniger auf Importe angewiesen. Denn erstens rangiert Soja in Österreich mit über 75.000 Hektar nach Mais, Weizen und Gerste mittlerweile auf Rang vier (!) der offiziellen Flächenstatistik. Und zweitens gibt es hierzulande auch ein paar Leute, die wissen, wie eine richtig gute Sojasauce hergestellt wird. Zwei davon sind Roland Trettl und Hans Reisetbauer.
Eigene Umami-DNA
Angefangen hat alles, wie so vieles in letzter Zeit, mit Corona. Seither kocht der TV-Star und verlässliche Quotenbringer Roland Trettl etwa mit seiner Frau Daniela regelmäßig auf den sozialen Netzwerken auf. Und erreicht damit über eine Million Zuschauer. Sein Lasagnenrezept soll gar die Zwei-Millionen-Marke geknackt haben. Auch, weil sein Faible für das würzige Elixier bekannt ist, rief ihn eines Tages, so erzählt Trettl, sein Freund Hans Reisetbauer an.
Wie geht die perfekte Sojasauce?
Der Revolutionär der Österreichischen Schnapskultur gehört mit seiner Bio-Landwirtschaft im oberösterreichischen Axberg zu den erfolgreichsten Destillatproduzenten des Landes. Außerdem pflanzt die Schnaps-Ikone seit 2014 auch mehrere Hektar Soja an. Bald war den beiden klar: Warum nicht gemeinsam eine Sojasauce kreieren, die alle Qualitätskriterien erfüllt, die sie sich beide wünschen? Heißt: in Bio-Qualität, von Anfang bis zum Ende transparent und vor allem selbst produziert. „Ich war sofort Feuer und Flamme für diese Idee“, erinnert sich Roland Trettl, der – das sei an dieser Stelle nochmals in Erinnerung gerufen – als früherer Protegé von Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann und ehemaliger Executive Chef des Hangar-7 in Salzburg jahrelang zur kulinarischen Speerspitze Österreichs zählte.
„Industrielle Sojasauce kannst du mit technischem Aufwand innerhalb weniger Wochen produzieren“, so der gebürtige Südtiroler weiter. „Aber das interessierte mich nicht. Für mich war klar: Um das umzusetzen, braucht man einen verrückten Hund, der weiß, wie das geht. Und jemanden, der den Platz dafür hat und das Grundprodukt aus seinen eigenen Feldern ziehen kann. Das alles ist der Hans.“ Dem begnadeten Schnapsbrenner kam dieses Projekt mehr als gelegen: „Was da auf unseren Feldern wächst, sind hochqualitative Sojabohnen, aber ich habe immer mit mir gerungen, was ich damit tun könnte, außer sie zu verkaufen.“ Mit ausreichender Technik ausgestattet, begann Hans Reisetbauer also damit, sich einzulesen und akribisch zu recherchieren, worauf es bei der Produktion der – ja, sagen wir es ruhig – perfekten Sojasauce ankommt.
„Natürlich haben wir gleich gesagt: Den strengen japanischen Weg mit dem Zedernholzfass können wir nicht gehen, weil wir das hier nicht haben.“ Heute weiß man: Das wäre auch der falsche Weg gewesen. Denn Trettls und Reisetbauers Sojasauce strotzt nur so vor eigener Identität. Dass der Weg dorthin mit zwei Qualitätsfanatikern ein langer und phasenweise schwieriger war, versteht sich von selbst. Vor allem an der Pressung und Lagerung wurde lange gefeilt und getüftelt. Und überhaupt: So eine Sojasauce braucht einfach Zeit. Wie genau also wird dieses neue Sojaelixier hergestellt?
Am nächsten Morgen ist er plötzlich da. Das ist ein magischer Moment!
Hans Reisetbauer über das Erscheinen des Koji-Pilzes am Firmament des Soja-Gärtanks
Impfpflicht für Bohnen
Wie ein großer Wein seine Wurzeln in einem gesunden Weingarten hat, so hat auch eine große Sojasauce ihre Wurzeln auf dem Feld. Bei Hans Reisetbauer werden die Bohnen Ende April angebaut und bis zur Ernte nach allen Regeln der Bio-Kunst gehegt, gepflegt und gestreichelt. Oder wie Reisetbauer selbst sagt: „gestriegelt“. Das heißt, ein Gerät reißt vorsichtig das Unkraut, das neben der Bohne wächst, heraus. „Daraufhin werden sie gehackt“, erklärt der Oberösterreicher. „Das passiert, damit Luft in den Boden kommt und die Bohne besser wächst. Dünger bekommt sie ja keinen.“ Durch den aufgelockerten Boden holen sich die kleinen, roten Kugeln bei der Wurzel den Stickstoff aus der Luft, womit die Bohne jetzt so richtig zu wachsen beginnt.
Ende September, Anfang Oktober wird schließlich geerntet. Ganz wichtig: in trockenem Zustand. „Die Sojabohne hat bei uns maximal 13 Prozent Feuchtigkeit“, so Reisetbauer. Daraufhin wird sie gereinigt und kommt für die Lagerung zum Nachbarn in die Silo-Anlage. Dieses Lager ist, wenn man so will, der Ausgangspunkt für jeden Produktionszyklus. „Wenn wir produzieren“, erklärt Reisetbauer, „fahren wir zuerst immer hierher, nehmen so viele Bohnen, wie wir brauchen, fahren dann zur Mühle, dämpfen die Bohnen und nehmen die Schalen weg.“ Die geschälten Sojabohnen werden nun mit Weizen und Roggenmalz vermischt – auch diese werden erst am Tag der Verarbeitung geschrotet – und werden im anschließenden Schritt mit dem alles verändernden, alles entscheidenden Koji-Pilz bestreut. Oder um den Fachterminus zu benutzen: geimpft.
Genauer gesagt handelt es sich dabei um den verbreitetsten aller Koji-Pilze, dem in der japanischen Küche so wichtigen Aspergillus flavus var. Oryzae. „Das ist die einzige Zutat, die nicht regional ist“, merkt Roland Trettl an. Importiert wird sie aus Japan, in Bio-Qualität, versteht sich. Vereinfacht ausgedrückt, regt dieser Pilz die Fermentation an, indem er im Zusammenspiel mit den Sojabohnen und dem Weizen- und Roggenmalz Enzyme produziert, die dem Ganzen diesen ominösen Umami-Geschmack verleihen. Salzig. Süß. Sauer. Irgendwie steckt da alles drin, und das in einer Komplexität, wie sie Salz, Zucker und, sagen wir, Zitrone als selbst angerichtetes Gemisch nie zustandebringen würden. Vom berühmten Koji-Reis bis zum berüchtigten Sake verleiht dieser wertvolle Pilz dem kulinarischen Erbe Japans sein unverkennbares Etwas – und gehört auch für Hans Reisetbauer und Roland Trettl zum Faszinierendsten, das es in kulinarischer Hinsicht gibt. Zwischen 48 und 72 Stunden wächst der wertvolle Pilz im Soja-Gemisch. „Am Abend fragst du dich, wo er bleibt“, so Reisetbauer. „Und am nächsten Morgen schaust du nochmal nach – und plötzlich ist er da, wie ein weiß-grünlicher Flaum, der drüberwächst. Ein magischer Moment.“
Als letzte Zutat wird jetzt noch die Bad Ischler Meistersole samt Quellwasser zugefügt, bevor die ganze Sache für neun Monate in Holzgarständer wandert, die Reisetbauer eigens vom Château Pichon- Longueville-Baron in Bordeaux erworben hat. Damit entwickeln sich die Aromen nochmal vielschichtiger. Die Sojasauce wird auf diese Weise nicht nur runder, sondern auch vollmundiger. „In der ersten Woche wird alles zwei Mal gerührt“, erklärt der begnadete Schnapspapst, „in der zweiten einmal – aber kontrolliert wird sowieso die ganze Zeit.“
Gerührt wird in erster Linie, damit der Pilz ständig neue Nahrung findet und, wenn man so will, stets beschäftigt ist. Am Ende dieser neun Monate bleiben nur noch das Pressen mit der Korbpresse, das Filtern und dass Füllen über den Pasteur. Et voilà: Fertig ist wohl eine der beeindruckendsten und zugleich kantigsten Sojasaucen der Welt. Womit auch jedem Supermarkt-Sojasaucen-Konsumenten klar wird: Die beliebteste Würzsauce dieses Planeten hat viele Gesichter. Was im Umkehrschluss auch bedeutet, dass sich nicht jede Sojasauce auch für jedes Gericht gleich gut eignet.
„Unsere Sojasauce ist keine, die schön mild daherkommt“, gibt auch Roland Trettl zu bedenken. „Für eine Jakobsmuschel beispielsweise, so ehrlich muss man sein, ist sie zu kräftig. Aber mit einem fetten Thunfischbauch ist sie perfekt. So ein fetter Bauch braucht ja auch etwas mit Eiern.“ Fest steht jedenfalls: Vor allem im deutschsprachigen Raum ist der Umami-Trend noch lange nicht gegessen. Den neuen, heimischen Sojasaucen sei Dank.