Future Wines
Die Zeiten ändern sich. Der Wein ist da nicht aussen vor. Justin Leone über die angesagten Weinstile und das Anpassen an klimatische wie auch soziale Veränderungen.
Die fetten Jahre sind vorbei: zumindest im Weinsektor. Zumindest für jetzt. Den in den 90er-Jahren gehypten kräftig-holzigen, reifen Fruchtbomben, wie man sie aktuell zum Teil nennt, stehen heute geradlinige, strukturierte Weine als neues Schönheitsideal gegenüber. So sieht das ein Großteil der jungen, aufstrebenden Sommelierelite. Doch die Zeiten ändern sich – wie beim Pendel von Großvaters alter Standuhr kann es da gehen. Etwas, was gestern modern war, ist heute komplett out. Schwingt das Pendel zurück, sind es in Zukunft vielleicht wieder die Muskelpakete an Weinen, die den Weinumsatz im Restaurant bringen. Die Stars auf der Karte und im Keller. Fix ist nichts. Nur eines: Zeiten ändern sich. Auch in der Weinbranche, im
Die Zeiten ändern sich. Der Wein ist da nicht aussen vor. Justin Leone über die angesagten Weinstile und das Anpassen an klimatische wie auch soziale Veränderungen.
Die fetten Jahre sind vorbei: zumindest im Weinsektor. Zumindest für jetzt. Den in den 90er-Jahren gehypten kräftig-holzigen, reifen Fruchtbomben, wie man sie aktuell zum Teil nennt, stehen heute geradlinige, strukturierte Weine als neues Schönheitsideal gegenüber. So sieht das ein Großteil der jungen, aufstrebenden Sommelierelite. Doch die Zeiten ändern sich – wie beim Pendel von Großvaters alter Standuhr kann es da gehen. Etwas, was gestern modern war, ist heute komplett out. Schwingt das Pendel zurück, sind es in Zukunft vielleicht wieder die Muskelpakete an Weinen, die den Weinumsatz im Restaurant bringen. Die Stars auf der Karte und im Keller. Fix ist nichts. Nur eines: Zeiten ändern sich. Auch in der Weinbranche, im Verkauf, im Anbau der Rebsorten, im Keller, in der Vinifikation, der Flaschenlagerung…
Die Jahre, in denen Weine in dunklen Kellern ruhig und ungestört lagerten, mit der Gewissheit, eines Tages großartiger Wein zu werden, der dem Zeitgeist entspricht, sind nicht vorbei. Sondern: Es hat sie nie gegeben. Die Welle des Weins schwappt unaufhörlich hin und her – wie ein Perpetuum mobile. Neue Techniken, Ansichten, Philosophien, und nicht zuletzt junge Generationen an Winzern prägen die Stilistik von heute. Sommeliers bringen sie an den Mann. Doch wofür schlägt des Getränkekellners und Weinbauers Herz dieser Tage? Mit welchen Problemen und Herausforderungen müssen sie sich herumschlagen? Klimawandel, der Trend zum Ursprünglichen, die Sehnsucht nach der guten alten (traditionellen) Zeit, sozialer und ökonomischer Wandel, all das kann man auch im Wein schmecken – ganz ohne Verkostungsnotiz – und wirkt sich auf den Winzer und in weiterer Folge auf den Sommelier, die Gäste und Kunden aus. ROLLING PIN hat sich gefragt, wie die Zukunft durch das Kristallglas (nicht die Kugel) betrachtet in Zukunft also aussehen wird. Und hat dazu die Wine-Wizards der Szene in die ROLLING PIN SOULKITCHEN eingeladen.
Spitzensommeliers wie Justin Leone aus dem 2-Sterne-Restaurant Tantris in München, Matthias Berger aus dem Restaurant Ikarus im Hangar-7 in Salzburg oder René Kollegger, Chef-Sommelier bei Tom Riederer in St. Andrä im Sausal, brachten ihre liebsten Tropfen mit. Alle für sie persönlich vinophile Verkörperungen der Zukunft des Weins. Wo geht die Reise hin? Welche Faktoren sind es, die diese Weine zu Zukunftswein-Wellen-Rauschen machen? Eine Diskussion noch schlimmer als ein Perpetuum mobile: Denn während dieses am Ende des Tages dann doch noch eine Theorie ist – weil: kein System funktioniert ohne Energiezufuhr tatsächlich unaufhörlich – besteht das Problem der Energiezufuhr bei dieser Diskussion so was von gar nicht. Immer neue brandaktuelle Elemente und Ansichten finden sich, die den Gesprächen rund um die Zukunft des Weins einheizen.
Sophia Wenzel Als Biersommelière und immer am Puls der Zeit ist man auch beim Schwesterchen Wein berufs- und interessentechnisch immer up to date. |
Matthias Berger Der Servicechef des Hangar-7 hat einige Future Wines auf der Karte. Immer stärker sind auch östliche Regionen mit ihren Weinen vertreten. |
Justin Leone Sommelier bis ins Blut: Der Kanadier aus dem 2-Sterne-Restaurant Tantris in München lebt Wein. Daher sind auf seiner Karte auch immer ein paar superinter-essante, wahre Future Wines zu finden. | René Kollegger Wine-Entertainer und Chef-Sommelier im Restaurant T.O.M. in St. Andrä im Sausal. Kaum einer verbindet vinophile Heimatliebe mit internationalen Weinen so gekonnt wie er. | Sepp Wejwar Spannende Querverbindungen zwischen Bier und Wein zieht auch der Gründer des Instituts für Bierkultur, Sepp Wejwar, den alle nur als Biersepp kennen. |
Glücklicherweise gab es einige wunderbare, elegante und endlos komplexe Tropfen zum Löschen: So wie Justin Leones Mitbringsel, den Riesling Abtsberg – Fusion 2010, vom Weingut Maximin Grünhäuser an der Mosel. Drei Fässer hat Winzer Carl Schubert von diesem Wein gemacht. Riesling in Eiche ausgebaut (erster Aufschrei der Traditionalisten), mit heavy toasting (Aufschrei, die Zweite) und das aus Eiche aus den eigenen deutschen, also nicht französischen Wäldern. Oh menno. Und oh ja. Was für ein eleganter Wein. „Die typische feine Mosel-Säure und Eleganz, aber mit Körper, mit Eiern“, so Justin Leones Worte zu diesem Wein.
Bergers Listán Blanco 2013 aus dem Aufsteigerweingut Suertes de Marques sorgte nicht minder für begeisterte Münder. Ein Wein aus dem Valle de la Orotava, dem Norden und damit kühleren Teil Teneriffas, stammend. Die Herkunft ist also schon einmal nicht klassisch. Die Stilistik ganz und gar nicht, wie sie den Weinen aus dem südlichen und daher warmen Spanien viel zu oft anhängt. Und dann ist der Listán Blanco auch noch aus über hundertjährigen wurzelechten Reben gekeltert. In Spanien wird wurzelecht als Pie Franco betitelt. Eigentlich auch ein schräger Name für ungepropfte Reben. Ein Ausdruck, der in der Geschichte, vielleicht sogar in dem Fall in der Diktatur Francos, seinen Ursprung hat.
Unabhängig davon, dass der Wein individuell und elegant überzeugt, bringt das eine weitere Erkenntnis der Diskussion um Future Wines auf den Plan: Man muss mit der Zeit gehen. Immer. Darf dabei die Vergangenheit nicht aus den Augen lassen. Damit sind jetzt nicht unbedingt althergebrachte und vielleicht auch nicht mehr zeitgerechte Bezeichnungen gemeint, sondern Ausbauarten, Ansichten, Stile, die die Weinwelt durch neue Techniken und Erkenntnisse ergänzen, bereichern können. Potenziell. Das prominenteste Beispiel der Gegenwart, ist man nun dafür oder dagegen, sind die Orange Wines. Da hat nämlich bestimmt niemand das Rad neu erfunden. Würde auch niemals einer der Winzer behaupten. Viel zu bekannt ist, dass die Georgier schon vor Tausenden von Jahren ihre Weine in Tonamphoren, also komplett „natural“, und in weiterer Folge „orange“ ausbauten.
Die Diskussion um die Zukunft des Weins und die unzähligen Verästelungen und mitunter Auswucherungen die diese mit sich bringt, birgt Potenzial für nicht nur eine, sondern unendlich viele Perpetuum-mobile-Diskussionen. Daher haben wir die Zukunft des Weins für euch auf den kommenden Seiten auch so gut wie möglich in Rebsorte, Herkunft und Vinifikation aufgeteilt.
Rebsorten Zurück zum Ursprünglichen – typisch Regionales wird auch im Weinbau immer mehr bevorzugt.
ABC – Anything but Chardonnay: Ein Slogan, der in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts in den USA entstand als Antwort auf die immer weitere Verbreitung der Rebsorte, weltweit. Chardonnay in aller Munde, kräftig in Holz ausgebaut mit Vanille und Kokosnoten zum süßen Snack im Glas mutiert. Das rote Pendant dazu: Cabernet Sauvignon. Ursprünglich aus Bordeaux stammend, schoss die wuchskräftige Rebsorte plötzlich von Australien bis nach Kalifornien aus dem Boden. Im Eichenfass getoastet und im Keller dem damaligen Geschmack entsprechend geformt, ergab das den Schokolade-Wein im Glas.
Doch diese Zeiten sind vorbei. Nicht nur in den USA, sondern am gesamten Globus ist Individualität, regionale Identität wichtiger denn je: Von der Urkarotte bis zum Wein. Das sagt auch Matthias Berger, Servicechef im Hangar-7 in Salzburg: „Es werden immer mehr autochtone Trauben angebaut. Die Regionen kehren zu ihren ursprünglichen Rebsorten zurück.“ In Österreich sind das zum Beispiel der Grüne Veltliner sowie der Blaufränkisch. Sie stehen auch im Ausland für die Nation. Als österreichischer Chardonnay tut man sich da schwerer. Was nicht heißt, dass sowohl Chardonnay als auch Cabernet Sauvignon, richtig angepackt, und das vor allem im Weingarten und nicht im Keller, nicht großartige, feingliedrige und endlos elegante Weine ergeben können.
Die Weine sollen sich eigenständig entwickeln.
Matthias Berger zur Arbeit im Weingarten
Der große Unterschied: „Es wird nicht mehr auf Biegen und Brechen versucht, bestimmte Weinstile und Rebsorten in Gebieten durchzusetzen“, so Berger. Nicht umsonst bringen autochtone Trauben auch im Weingarten Eigenschaften mit, die an die Region angepasst sind. Wobei sich natürlich auch das mit der globalen Klimaerwärmung ändert. Justin Leone nennt beispielsweise gerade die renommierte Region Bordeaux als Beispiel. „Die Weine aus Bordeaux haben ihren Weltruf durch ihre Feingliedrigkeit, subtile Eleganz und präzise Aromen erlangt.
Durch den Klimawandel werden die Weine marmeladiger, alkoholischer. Ein Stil, der ganz und gar nicht dem Bild von Bordeaux in den Köpfen der Liebhaber entspricht.“ Im Cahors beispielsweise, einer Weinregion, die 50 Kilometer von Bordeaux entfernt im Landesinneren Frankreichs liegt, habe man von Haus aus immer nur Malbec angebaut. Eine Rebsorte, die mit Hitze besser umgehen kann als Cabernet Sauvignon und insbesondere Merlot. „Vielleicht ist das auch der Grund, warum man früher, vor einigen Hundert Jahren, auch mehr Malbec und Carménère in Bordeaux angebaut hat“, so Leone.
Denn das Klima ändert sich wellenförmig. Schon in der Vergangenheit gab es Perioden mit höheren Temperaturen, bevor das Weltklima wieder abkühlte. „Vielleicht befinden wir uns ja auch genau in der verrückten Wetterzeit vor der nächsten Eiszeit“, so der Kanadier Leone. Alles kein Grund, im vinophilen Universum Panik zu schieben, man müsste sich nur den sich ändernden Gegebenheiten anpassen. So wie das das Weingut Graf Adelmann in Baden-Württemberg macht. Denn hier denkt man heute schon an morgen und pflanzt weiße Rebsorten wie Roussanne oder Marsanne an, berichtet Leone.
Beide Rebsorten stammen aus dem Rhônetal, das bekanntlich weit südlicher liegt als das baden-württembergische Steinheim an der Murr. Aber die Temperaturen passen sich an. „Neupflanzungen müssen heutzutage mindestens zehn Jahre im Voraus denkend getroffen werden“, ist sich Leone sicher. Syrah und Roussanne in Baden-Württemberg und Riesling in Dänemark? Möglich. Wenn es der Balance im Wein dient. Denn das ist eine Komponente, die zwar schon immer gültig war, durch zurückhaltenderes Arbeiten im Keller von Winzern aber heutzutage immer stärker forciert wird.
Und von Gästen nachgefragt wird. „Ein Wein muss in sich rund sein, alle Komponenten perfekt ineinander verwoben“, weiß auch Kollegger aus dem Restaurant T.O.M. im steirischen St. Andrä im Sausal. „Eine Frau, die übermäßig geschminkt ist, ist doch auch nicht hübscher als eine natürliche Person, die durch ihre Persönlichkeit glänzt“, das sind Kommentare, die dieser Tage in Weinkellern zu Weinstilistik und Co. fallen. Berger bringt einen weiteren wichtigen Punkt ins Spiel: „Wenn man einen Wein von vornherein auf ein bestimmtes Schönheitsideal hin erzieht, sieht man gar nicht, welche interessanten Facetten sich rechts und links ganz von alleine hätten auftun können.“
Listán Blanco
Wein: Vidonia
Weingut: Suertes del Marqués,
Herkunft: Teneriffa, Spanien
Rebsorte: Listán, 2013
Aus wurzelechten Rebstöcken im Norden Teneriffas gekeltert, und zwar aus der traditionellen spanischen Rebsorte Listán Blanco, die in anderen Teilen des Landes auch als Palomino bekannt ist. Ein dreifacher Futurewein, weil: er aus einer ursprünglichen Rebsorte entstanden ist, aus einem exotischen Anbaugebiet stammt und auch in der Vinifikation dem Trend des oxidativen Ausbaus Rechnung trägt.
Viognier
Weingut: Dr. Heger
Herkunft: Baden, Deutschland
Rebsorte: Viognier, 2012
Aus wurzelechten Rebstöcken im Norden Teneriffas gekeltert, und zwar aus der traditionellen spanischen Rebsorte Listán Blanco, die in anderen Teilen des Landes auch als Palomino bekannt ist. Ein dreifacher Futurewein, weil: er aus einer ursprünglichen Rebsorte entstanden ist, aus einem exotischen Anbaugebiet stammt und auch in der Vinifikation dem Trend des oxidativen Ausbaus Rechnung trägt.
Lagrein
Weingut: Nusserhof
Herkunft: Südtirol, Italien
Rebsorte: Lagrein, 2009
Aus wurzelechten Rebstöcken im Norden Teneriffas gekeltert, und zwar aus der traditionellen spanischen Rebsorte Listán Blanco, die in anderen Teilen des Landes auch als Palomino bekannt ist. Ein dreifacher Futurewein, weil: er aus einer ursprünglichen Rebsorte entstanden ist, aus einem exotischen Anbaugebiet stammt und auch in der Vinifikation dem Trend des oxidativen Ausbaus Rechnung trägt.
So burgundisch elegant kennt man Lagrein sonst nicht.
René Kollegger
Statt der ABC-Anhänger gibt es in Kalifornien nun also die Befürwörter der IPOB-Philosophie, einer Vereinigung von Winzern, die sich für die Balance, Eleganz und Eigenständigkeit ihrer Weine einsetzt. In Pursuit of Balance – IPOB – ist jetzt also gerade angesagt. Wir denken zurück an Großvaters Pendel. Jetzt gerade ist weniger mehr im Wein. Weniger Alkohol, leisere Weine, dafür aber durch ihre Balance und Eleganz überzeugend.
Und auch wenn man kein Mitglied bei IPOB ist, der Tenor ist weltweit derselbe. In manchen Regionen weiter fortgeschritten als in anderen: nachhaltigeres, weniger invasives Arbeiten, um einen echteren Wein zu erhalten. Wein als Kulturgut, das immer weniger im Keller und immer mehr im Weingarten entsteht. Rebsorten werden an Boden- und Klimagegebenheiten und nicht mehr an den Schoko- oder Vanilletrend wie zu ABC-Zeiten angebaut. Das Ursprüngliche zählt. Und das sind die autochtonen Rebsorten einer jeden Region, so authentisch wie möglich ins Glas gebracht.
Das sind Weine, die einem das Gefühl geben, eine Region auch von der Weinseite verstehen zu lernen. Sie holen einen runter, beruhigen oder regen auf. Botschafter ihrer Herkünfte, die so individuell sein wollen wie derjenige, der das Glas in Händen hält. Erlebnisse sind es, die die Gastronomie und auch den Wein ausmachen – und nur wenn diese ehrlich gemeint sind, kommen sie auch an, werden verstanden, geschätzt und auch nicht mehr vergessen.
Wer etwas auf sich hält, trinkt Bordeaux? Schon lange nicht mehr. Sagen alle. Nur nicht Bordeaux. Bordeaux zu trinken, ist, wie eine Rolex-Uhr zu kaufen oder einen Ferrari zu fahren“, sagt Justin Leone. Ein Statussymbol. Eines, auf das die Weintrinker-Generation von heute und morgen keinen Wert legt. Elitärer Schnickschnack ist haltlos geworden. Heute zählen Geschmack, Authentizität, Individualität. Im Wein und überall sonst. Jeder will individuell sein. Dazu gehört sicher auch, eigenständigen Wein zu trinken. Manchmal bis zum Exzess getrieben und die Individualität über die Qualität gestellt, aber in den meisten Fällen schlichtweg eine schöne Chance für weniger prestigeträchtige Regionen, sich zu profilieren: durch Qualität, winzerisches Geschick und Geschmack.
Klima Durch die Erderwärmung verändert sich auch der Weinbau.
Sophia Wenzel
Auch nicht ganz unschuldig an dem Reigen der neuen Aufsteiger-Herkünfte und dem eventuell noch bevorstehenden Niedergang alter Wein-Imperien ist der Klimawandel. Natürlich freut man sich über warme Sommer – als Badefreund und Gastronom mit Gastgarten. Und die Winzer? Die haben zu kämpfen. Dem Riesling beispielsweise wird es langsam, aber sicher viel zu warm an manchen Stellen der Mosel, einer der Paradeherkünfte für diese elegante Rebsorte. Die Tag- und Nachttemperatur-Unterschiede, die ein vibrierendes Säure-Frucht-Spiel im Wein verursachen, sind plötzlich verschwunden.
Das Steckenpferd von sogenannten Cool-Climate-Weinen. Leone: „In Baden-Württemberg pflanzen manche Winzer schon Rebsorten an, die traditionell aus dem Rhônetal, also dem südlichen Frankreich stammen.“ Vorreiter. Denn die wärmeliebenden Roussanne, Marsanne, Syrah und Co. sind es, die sich in Zukunft im Badischen pudelwohl fühlen werden. Und Rebsorten, die sich wohlfühlen, also gesund und nährstoffversorgt sind, ergeben in der Regel auch den besseren Wein. Die Champagne wird der neue Burgund werden – der Burgund wird zu heiß für Pinot noir und Chardonnay.
Die Landlords in Südengland und sogar Dänemark kaufen fleißig Land. Warum? Weil Südengland auf der gleichen Kimmeridge-Kalkplatte liegt wie die Champagne – und in ein paar Jahrzehnten oder sogar Jahren das Wetter in Südengland champagnös zu werden verspricht. Während man in der berühmten Schaumweinregion Champagne schon jetzt beginnt, auf Stillweine zu setzen. Nicht zuletzt durch sozio-ökonomischen Wandel tauchen ebenso viele neue Herkünfte für Top-Wein auf der vinophilen Landkarte auf.
Slowenien ist eines dieser Länder. „Jetzt sind auch die Technik und das Know-how in diese Regionen gelangt. Die Weine, die diese Länder jetzt produzieren, sind legendär“, sagt René Kollegger. Und für einen Bruchteil des Geldes zu haben, das man beispielsweise für einen Bordeaux über den Tresen wandern lassen muss. Hier reihen sich auch die Slowakei, Bulgarien oder auch Herkünfte wie Chile ein. Matthias Bergers Weinmitbringsel Duquesa d’A aus Chile zeigt das eindrücklich und nachhaltig. Man hat erkannt, dass man mit dem richtigen Know-how und moderner Technik Weine produziert, die ihr Vorbild aus einer traditionellen Weinregion mitunter weit übertreffen. Welche spannenden Rot- und Weißweinflecken sich in Zukunft noch auf dem vinophilen Globus auftun, bleibt mit Freude abzuwarten.
Slowenien
Wein: Merlot Opoka
Weingut: Marjan Simcic, Goriska Brda
Rebsorte: Merlot, 2009 Merlot kommt aus Bordeaux. Aber auch Slowenien kann Merlot, und das ziemlich gut. Einer der Local Heroes, Marjan Simcic, beweist das mit Bravour. Dieser Wein würde den Großteil der Bordelaiser Versuche mit links in die Tasche stecken. Viel zu elegant sind Gerbstoffe, Aromen und Säure in einer feinen Struktur miteinander verwoben.
Deutschland
Wein: Abtsberg Fusion
Weingut: Maximin Grünhäuser, Mosel
Rebsorte: Riesling, 2010
Riesling darf niemals ins Holzfass – hieß es lange. Die Frucht wird ansonsten zerstört. Das Gegenteil beweist dieser Wein und ist damit, nicht nur was die Vinifikation betrifft, ein Trendsetter. Auch dass deutscher Riesling zu den wahren, langlebigen Schätzen der Weinwelt zählt und mit süßer Plörre nichts am Hut hat, sickert langsam aus den Sommelierreihen zu den Endverbrauchern durch.
Slowakei
Wein: Château Béla
Rebsorte: Alibernet, 2012
Riesling darf niemals ins Holzfass – hieß es lange. Die Frucht wird ansonsten zerstört. Das Gegenteil beweist dieser Wein und ist damit, nicht nur was die Vinifikation betrifft, ein Trendsetter. Auch dass deutscher Riesling zu den wahren, langlebigen Schätzen der Weinwelt zählt und mit süßer Plörre nichts am Hut hat, sickert langsam aus den Sommelierreihen zu den Endverbrauchern durch.
Chile
Wein: Duquesa d’A
Weingut: Aristos, Papel Valley
Rebsorte: Chardonnay, 2009
Mit diesem Chardonnay, der inzwischen weltweit gefragt ist, zeigen erhabene Weinmeister aus der alten Welt wie Liger-Belair, wie man altes Wissen in neuen Herkünften in große Weine übersetzt. Chile bietet insbesondere in den Höhen ideale Voraussetzungen für den Weinbau. Oft fehlte es nur an dem nötigen Equipment sowie Know-how.
Das sagen manche zur Orange-Wein-Bewegung. Denn da sind sich Gegner und Befürworter einig: Anders, eigenständig sind sie allemal. Die Naturweine. Definitiv. Ohne auf der Skala positiv oder negativ auszuschlagen. Und alt ist die Technik auch. Ursprünglich. So wie man früher Wein machte. Ehrlicher, sagen die einen. Fehlerhaft, die anderen. Eine echte Wahrheit gibt es in der subjektiven Welt des Weins nicht. Sicher ist nur: Die Arten der Vinifikation werden die Zukunft des Weins wesentlich beeinflussen. In die hochmoderne Richtung genauso wie in der Zurück-zum-Ursprung-Kellertechnik. In Zeiten, in denen Konvektomat und Co. mit dem Smartphone bedient werden, kann man sich vorstellen, dass dieser technische Schnickschnack beziehungsweise Vorsprung auch nicht an Kellertechnik und Co. vorbeigeht.
Vinifikation
Früher war alles besser? Sicher nicht. Aber altes Wissen durch moderne Technik bereichert, das gibt auch im Wein echt was her.
Die Optical Sorting Machine ist eine dieser Ausprägungen technischen Fortschritts: Die Maschine scannt jede Traube auf physiologische, also ideale Reife für die Top-Weinproduktion. Entspricht die Traube laut Computer nicht, wird sie ganz einfach aussortiert. „In schwierigen Jahren, wie es 2013 für Bordeaux war, eine Maschine, die Gold wert ist“, sagt Marianne aus dem Château Palmer in Bordeaux. Bei Anschaffungskosten von mehreren Hunderttausend Euro ist das auch gut so. Komplett konträr dazu steht der Trend zum absoluten Laissez-faire-Stil in den Weingärten. Minimal invasive Weinwirtschaft wurde es getauft. Heißt: so wenig eingreifen wie möglich. Der Rebe, dem Wein seinen Lauf lassen. Das zeigt das Terroir, die Herkunft der Weine am besten. Sagen die Befürworter. Im Weingarten wird die Rebe mit natürlichen Maßnahmen so gut wie möglich unterstützt. Im Keller schließlich kein neues Holz mehr, das massive Röstaromen und opulenten Körper in den Wein mit einbringt, sondern gebrauchtes, zurückhaltendes kommt hier zum Zug.
Natural Wines
Die Bewegung der Natural Wines bezieht sich auf den geringstmöglichen Eingriff des Menschen in die Weinbereitung. Im Garten meist ökologisch arbeitend und zertifiziert, kommt im Keller oder sogar in der Amphore der oxidative Ausbau zum Zug.
„Schlank, subtil und individuell: Das ist das, was heute zieht. Oxidativer Ausbau, also mit Luftzufuhr ist Trend“, sagt auch Matthias Berger aus dem Hangar-7. Das wirkt sich massiv auf den Wein aus. Denn während beim reduktiven Ausbau, der seine Hochzeit in den 90er- und 00er-Jahren feierte, die Primärfrucht extrem und vordergründig erhalten bleibt, erlaubt der oxidative Ausbau auch anderen Aromen, Platz für sich einzunehmen. „Die Frucht ist vielleicht nicht mehr so glockenklar, aber die Komplexität, das Aromenspektrum höher“, sagt auch Leone.
Optical Sorting
Eine Scannermaschine, die am Fließband erkennt, ob eine Traube die ideale physiologische Reife erreicht hat und sich damit für Top-Weine qualifiziert oder nicht. Extrem teuer in der Anschaffung, aber laut Befürwortern in schwierigen Jahren Gold wert.
René Kolleggers und Sophia Wenzels vinophile Mitbringsel zur Zukunft des Weins sprechen Bände zum Thema – Orange Wein mal zwei. Georgium vom Längsee in Kärnten (also auch eine neue Herkunft) sowie die Theodora aus dem Gut Oggau haben es den beiden angetan.
Ein Traum von Wein, heutzutage. Sagen viele. Vor allem Sommeliers – weil anders. Weniger die Gäste – weil oft zu anders. Aber wir erinnern uns an das vinophile und unaufhaltsam tickend schwankende Perpetuum mobile. Was heute Trend ist, kann morgen verpönt sein. „Der Wein ist von zeitgeistlichen Trends nicht außen vor gelassen“, sagt Justin Leone. Es bleibt abzuwarten, inwiefern die Technik die Möglichkeiten der Vinifikation weiter ausdehnt und was das in den Herzen der ursprungs- und massiv naturverbundenen Winzer beziehungsweise den Technik-Befürwortern noch verursachen wird. Spannend bleibt es ungefragt. Und das ist doch das Schöne an der Weinwelt und eigentlich das, warum wir sie so lieben. Und ob Wein und das Wissen dazu in unserer persönlichen Zukunft eine Rolle spielen, haben wir schließlich ganz unabhängig von Trends und Bewegungen immer noch ganz individuell für uns selbst zu entscheiden.
Orange
Wein: Theodora
Weingut: Gut Oggau
Herkunft: Burgenland, Österreich
Rebsorte: Gr. Veltliner & Welschriesling, 2013
Die Winzer Stephanie Tscheppe-Eselböck und Eduard Tscheppe arbeiten am traditionellen Weingut Oggau am Neusiedler See modern und im Einklang mit der Natur. Theodora ist spontanvergoren und durfte in großen Fässern für fünf Monate reifen. Noch einen Trend setzt das Winzerpaar mit Theodora und ihrer ganzen Weinfamilie, die jeweils mit menschlichen Charaktereigenschaften beschrieben werden. Denn Wein ist und wird immer persönlicher: Theodora ist keck, aber sympathisch. Eine junge Dame, die durch ihre fröhliche Leichtigkeit jeden sofort im Sturm erobert.
Orange Wein: Ovis Weingut: Georgium Herkunft: Längsee, Kärnten, Österreich Rebsorte: Chardonnay, 2011 Marcus Gruze macht Wein in Kärnten. Womit er so ziemlich alleine ist. Eine neue Herkunft am Längsee, wobei der Erfolg dem Winzer recht gibt. Der Ovis ist ein Future Wein, weil er als sogenannter Orange Wine ausgebaut ist, also auf der Maische vergoren wurde. Eigentlich eine der ursprünglichsten Arten, Wein zu machen, die Struktur und auch Gerbstoffe in den Weißwein miteinbringen. Aber auch ein komplett neues Aromenspektrum im Wein bedingen.