Frankensteins Früchtchen

Genie und Wahnsinn liegen oft nah nebeneinander: So finden wir genmanipuliertes Gemüse und die kuriosesten Fruchtkombinationen in der Frischetheke. Von Apfel mit Traubengeschmack bis hin zu Insulin-Salat – heute ist alles möglich. Eine Bestandsaufnahme.
November 13, 2015

genmanipuliertes Gemüse

Zitrusfrüchte nehmen es nicht so genau mit der Treue. Versucht ein begeisterter Obstfreund die Geschichte der Orange, Mandarine und Pampelmuse zu erforschen, wird er schnell auf wirre Beziehungen und unzüchtige Dreier stoßen. Nahezu die ganze orangefarbene Zitrusbrigade stammt aus Menschenhand: Doktor Frankenstein lässt grüßen! Die Erfindung der Pomelo setzt dem Ganzen die Krone auf: Sie ist eine Kreuzung aus Grapefruit und Pampelmuse. Letztere ist gemeinsam mit der Orange die Mutter der Grapefruit. Die Pomelo ist also ein Erzeugnis aus Mutter und Sohn – solche Verhältnisse finden sonst nur im Unterschichtenfernsehen ihre Berechtigung. Aber auf unserem Teller sind sie dann doch eigentlich ganz lecker. Wirklich überrascht hat die Orange – kein Fruchtspaltenliebhaber hätte vermutet, dass gerade diese Zitrusfrucht ein Abkömmling zweier anderer Früchte sein kann: Man kreuze Mandarine und Bitterorange und erhalte eine Orange. Wem jetzt der Kopf vor lauter Fruchtsäure qualmt, dem sei gesagt: Es geht noch weiter mit der Inzucht! Die Bezeichnungen Clementine und Mandarine werden im gängigen Sprachgebrauch häufig für ein und dasselbe benutzt, obwohl die Mandarine gekreuzt mit der Orange für die süße Clementine verantwortlich ist. Das mit der Wortverwechselung trifft häufig auch die Pampelmuse und Grapefruit – zu Unrecht, wie vorne erklärt! Der eine oder andere hat es bereits bemerkt: Die Pampelmuse und die Mandarine sind die fruchtigen Schlampen unter den umtriebigen Früchtchen.

Kleine Marktanalyse
Alle, die sich nun nach reinrassigen Vitaminbomben sehnen: Limetten haben mit dem ganzen Spektakel um die Mandarine und Pampelmuse nichts zutun. Ansonsten gibt’s das eigentlich nicht mehr – auch die vielerorts geliebte Zitrone ist eine Kreuzung aus Zitronatzitrone und Bitterorange. Aber auch außerhalb der Zitrusfamilie geht es heiß her: Apfel-, Birnen- und Traubensorten sowie Getreidearten werden wild gekreuzt. Dabei entstehen dann Sorten, die sich meist nicht mehr fortpflanzen können, aber einen anderen Geschmack, eine bessere Widerstandsfähigkeit gegenüber Wetter- und Bodenverhältnissen oder gegenüber Schädlingen aufweisen. Kurz gesagt: Sie haben genau die Eigenschaften,…

genmanipuliertes Gemüse

Zitrusfrüchte nehmen es nicht so genau mit der Treue. Versucht ein begeisterter Obstfreund die Geschichte der Orange, Mandarine und Pampelmuse zu erforschen, wird er schnell auf wirre Beziehungen und unzüchtige Dreier stoßen. Nahezu die ganze orangefarbene Zitrusbrigade stammt aus Menschenhand: Doktor Frankenstein lässt grüßen! Die Erfindung der Pomelo setzt dem Ganzen die Krone auf: Sie ist eine Kreuzung aus Grapefruit und Pampelmuse. Letztere ist gemeinsam mit der Orange die Mutter der Grapefruit. Die Pomelo ist also ein Erzeugnis aus Mutter und Sohn – solche Verhältnisse finden sonst nur im Unterschichtenfernsehen ihre Berechtigung. Aber auf unserem Teller sind sie dann doch eigentlich ganz lecker. Wirklich überrascht hat die Orange – kein Fruchtspaltenliebhaber hätte vermutet, dass gerade diese Zitrusfrucht ein Abkömmling zweier anderer Früchte sein kann: Man kreuze Mandarine und Bitterorange und erhalte eine Orange. Wem jetzt der Kopf vor lauter Fruchtsäure qualmt, dem sei gesagt: Es geht noch weiter mit der Inzucht! Die Bezeichnungen Clementine und Mandarine werden im gängigen Sprachgebrauch häufig für ein und dasselbe benutzt, obwohl die Mandarine gekreuzt mit der Orange für die süße Clementine verantwortlich ist. Das mit der Wortverwechselung trifft häufig auch die Pampelmuse und Grapefruit – zu Unrecht, wie vorne erklärt! Der eine oder andere hat es bereits bemerkt: Die Pampelmuse und die Mandarine sind die fruchtigen Schlampen unter den umtriebigen Früchtchen.

Kleine Marktanalyse
Alle, die sich nun nach reinrassigen Vitaminbomben sehnen: Limetten haben mit dem ganzen Spektakel um die Mandarine und Pampelmuse nichts zutun. Ansonsten gibt’s das eigentlich nicht mehr – auch die vielerorts geliebte Zitrone ist eine Kreuzung aus Zitronatzitrone und Bitterorange. Aber auch außerhalb der Zitrusfamilie geht es heiß her: Apfel-, Birnen- und Traubensorten sowie Getreidearten werden wild gekreuzt. Dabei entstehen dann Sorten, die sich meist nicht mehr fortpflanzen können, aber einen anderen Geschmack, eine bessere Widerstandsfähigkeit gegenüber Wetter- und Bodenverhältnissen oder gegenüber Schädlingen aufweisen. Kurz gesagt: Sie haben genau die Eigenschaften, die Bauern und Verbraucher wünschen.

Pflanzenkunde

Einmaleins der Pflanzenkunde
Geschmackliche Überraschung in Apfelform: Grapples (übrigens „graypels“ ausgesprochen) sehen exakt so aus wie Äpfel und schmecken nach Traube. Wie ist das möglich? Dafür muss der Pflanzenfreund vorne anfangen. Bei der Züchtung, also der gezielten Fortpflanzung, ist es möglich zu selektieren: Man nehme nur die schönsten, größten, farbenfrohsten oder leckersten Pflanzen und vervielfältige sie. Das ist positive Massenauslese. Entschließt man sich dazu, die hässlichsten, kleinsten, fadesten und widerlichsten Pflanzen aus einem Genpool herauszunehmen und die anderen weiter zu vermehren, ist das negative Massenauslese. Wie entstehen nun Hybride? Um möglichst immer die gleichen Erträge zu sichern, werden Inzuchtlinien miteinander gekreuzt. Inzuchtlinien sind, wie der Name schon sagt, sehr reinerbige Pflanzen. Bei der Maiszucht kann nach circa sieben Inzuchtgenerationen die Nachkommenschaft als reinerbige Inzuchtlinie betrachtet werden. Dafür werden natürlich Pflanzen genutzt, die besonders tolle Eigenschaften haben. Kreuzt man nun zwei Inzuchtlinien (also beispielsweise den wunderschönen goldgelben und den süßen Mais), entsteht daraus die Hybridgeneration. Diese wird auch F1-Generation genannt. Und jetzt wird’s richtig spannend: Je unterschiedlicher beide Inzuchtlinien sind, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit einer hohen Leistungsfähigkeit der Hybride. Deshalb sind Hybridpflanzen so der Renner bei den Landwirten: Sie können mit stabilen Erträgen rechnen. Das sah früher noch ganz anders aus: Über 10.000 Jahre war es gute landwirtschaftliche Tradition, dass Bauern einen Teil ihrer Ernte als Saatgut zurückbehielten, um diesen in der nächsten Saison wieder auszusäen. Dieser sogenannte Nachbau setzt allerdings samenfeste Sorten voraus. Also Sorten, die nicht auf Inzuchtlinien beruhen und damit fähig sind, sich fortzupflanzen. Das ist nämlich das große Problem der Hybridzüchtungen. Sie sind entweder nicht mehr in der Lage, sich weiter zu vermehren, oder die Folgegenerationen haben nicht mehr diese ertragreichen Eigenschaften. Hybride Sorten finden ihren Anklang beim Landwirt besonders wegen der einheitlicheren Bestände und eines gleichbleibenden – höheren – Ertrags. Hybrid-Roggen bringt zehn bis 20 Prozent mehr Ernte, Hybrid-Mais bis zu 600 Prozent. Allerdings nur in der ersten Generation. Danach gehen die Erträge deutlich zurück. Würde also der Nachbau wie früher zurückgehalten, um diesen wieder auszusäen, hätte das keine Vorteile mehr. Einige Hybridsorten zeichnen sich durch Resistenzen gegen verschiedene Pflanzenkrankheiten aus. Aber wer profitiert wirklich? Natürlich die Industrie! Die Hersteller erfreuen sich daran, dass in jedem Jahr neue Samen gekauft werden müssen, da die Pflanzen selber keine Samen beziehungsweise Kerne ausbilden können. Das Geschäft mit den kernlosen Trauben ist deshalb ein sehr gutes – zumindest für die fleißigen Samenerzeuger!
Welche Folgen hat das? In den letzten 100 Jahren gingen laut der Einschätzung der Welternährungsorganisation FAO rund drei Viertel der noch um 1900 verfügbaren Sortenvielfalt verloren. Gravierend ist das besonders bei Gemüse: Einige Sorten wie extrasüßer Zuckermais, Kohlrabi, Blumenkohl, Brokkoli, Rettich oder Chinakohl sind nur noch als Hybride auf dem Markt. Aber zur Auflösung des Rätsels: Wie kann ein Apfel nach Traube schmecken? Das hat gar nichts mit Züchtung zu tun! Die Trauben haben genauso wenig mit dem Apfel am Hut wie die Ananas mit der Ananaserdbeere (siehe nächste Doppelseite): Für Grapples werden reife Äpfel in Wasser und Anthranilsäuremethylester gelegt. Das kommt natürlich in Trauben vor und verleiht dem darin badenden Apfel den Traubengeschmack. Keine Züchtung, keine genetische Veränderung!

Züchtung vs. Gentechnik
Da schrillen gleich alle Alarmglocken! Genetische Veränderung, Gentechnik, Zombie-Mais. Wenn die Züchtung von Pflanzen eigentlich etwas ganz Natürliches ist – es ist schließlich der Schlüssel der Evolution (nach Darwin haben sich die Schönsten, Größten, Schnellsten schon immer als Erstes fortgepflanzt und überlebt), was ist los an der Gentechnik-Front?
Gentechnik in der Pflanzenzucht wird allgemein als Grüne Gentechnik bezeichnet. Daraus entstehen transgene Pflanzen oder gentechnisch veränderte Organismen (GVO). Das oberste Ziel von diesem Eingreifen in die Natur ist die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit gegenüber Schädlingen. Das ist bei dem medienwirksamen Gen-Mais und auch bei transgenem Raps der Fall. Weil aber nicht abzusehen ist, dass auch ein nicht veränderter Mais, der zufällig neben einem Gen-Mais-Feld aufwächst, verunreinigt wird, gibt es in der Europäischen Union einen Schwellenwert für Futter- und Lebensmittel. Diese zufällige, technisch nicht mehr beeinflussbare Beimischung darf 0,9 Prozent nicht überschreiten. Auch bei Bio-Lebensmitteln. Was das bedeutet, welche weiteren Vorteile, aber auch Risiken das Frankensteinische Verhalten haben kann, steht auf der rechten Seite.
Das große Problem der Gentechnik-Gegner ist die fehlende Sicherheit. Wer verspricht jedem Einzelnen, dass er in 20 Jahren nicht krank wird aufgrund genveränderter Lebensmittel? Da es keine Langzeitstudien bei Menschen gibt, gelten Tierlabore und Statistiken als die einzige Quelle. Vertrauenswürdig sieht irgendwie anders aus, besonders weil die Studien zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen (je nachdem, ob ein Naturverein oder die Industrie bezahlt hat). Was in manchen Studien auftaucht, sind hohe Abgaben von Giften an den Boden oder die Anpassung der Schädlinge an die genetische Veränderung oder die ungewollte Weitergabe an Bienen und ihr Sterben. Aber es ist nicht alles schlecht! Die konventionelle Züchtung beruht auf dem Prinzip von Kreuzung und anschließender Selektion. Aber weil das alles so ungenau ist und die Züchtung der Inzuchtlinien so lange dauert, liegen die Vorteile der Gentechnik auf der Hand: Schnelle, gezielte Veränderung der Pflanzen und noch dazu Ergebnisse, die sich auf dem konventionellen Bienchen-Blümchen-Weg nicht erreichen lassen. Es ist eine lange Liste mit Eigenschaften, die so eine Pflanze haben kann/könnte/sollte: Beim resistenten Gemüse ist es einfach – durch resistente Gemüsesorten muss weniger Pflanzenschutzmittel gespritzt werden. Die Forschungen gehen aber noch weiter: Es ist möglich, Allergene aus Pflanzengruppen herauszuzüchten. Besonders auf Eiweiße in Soja reagieren viele Menschen allergisch. Durch genetische Veränderung kann das Gen ausgeschaltet werden. Kartoffeln mit einem höheren Gehalt an lebenswichtigen Aminosäuren oder Salat mit Insulinzellen stimulierenden Genen, was bei Diabetes helfen kann – heute ist wirklich alles möglich. Es gab sogar Forschungen für die Entwicklung einer Tabakpflanze, die ein Mittel gegen Karies bildet. Der Versuch, in die Gesundheit des Menschen einzugreifen und diese zu verbessern, mag ein sehr edles Vorhaben sein. Aber insgesamt klingt es dann doch mehr nach Gott spielen oder zumindest nach Frankensteins verrückten Ideen.

 Violetter Brokkoli
Violetter Brokkoli
Purple Sprouting ist eine alte Kulturpflanze und keine neue Züchtung, obwohl das bei der Farbe so wirken mag. Kultiviert wurde Purple Sprouting ursprünglich von den Römern und wird in Großbritannien seit dem frühen 18. Jahrhundert angebaut. Zwischen Februar/März und April kann dieser bunte Zeitgenosse genauso wie Brokkoli verwendet werden und ist dazu noch ein echter Hingucker. Die Wintersorte Purple Sprouting ist im Kochwasser nach rund drei bis sechs Minuten bissfest.

Ananaserdbeeren
Ananaserdbeeren
Die Pineberry ist weißlich und bekommt rote Pünktchen, wenn sie reif ist. Sie schmeckt leicht nach Ananas und ist kleiner als die üblichen Erdbeeren. Pineberrys sind Hybride aus Erdbeerarten und nicht, wie der Name vermuten ließe, aus Ananas und Erdbeeren. Schlechter Start: Am 31. März 2010 wurden die Erdbeeren in England erstmals auf den Markt gebracht, wodurch die Verbraucher zuerst von einem Aprilscherz ausgingen. Zum Glück war es das nicht, denn sie schmecken ausgezeichnet!

Oroblanco
Oroblanco
Die schier endlos scheinende Zitrusverkuppelung nimmt kein Ende: Die Oroblanco ist ein weiteres fruchtiges Kind aus dem Vitamin-C-Clan. Sie ist die Kreuzung aus Pomelo und Grapefruit. Huch, schon wieder die Grapefruit! Auffrischend sei erwähnt: Die Pomelo ist das Kind aus Grapefruit und Pampelmuse. Wilde Kreuzungen mit Geschmack: Von November bis März kann die hellgelbgrünliche Frucht mit erstaunlich dicker Schale gekostet werden. Die braucht man aber auch bei solchen Familienverhältnissen!

Jostabeeren
Jostabeeren
Bei dem Namen war jemand sehr kreativ: Schwarze Johannisbeere trifft Stachelbeere und daraus wird die Jo-Sta-Beere! Die auch unter Rigatze oder Joglbeere bekannte Frucht ist von Mitte Juni bis Juli reif und glänzt durch ihren hohen Vitamin-C-Gehalt. Neben Marmeladen oder Likör können die zum ersten Mal 1922 gekreuzten Beeren auch roh verzehrt werden. Die Pflanzen sind wie viele Hybride sehr robust und haben einen höheren Ertrag als ihre Elterngeneration. Super für den eigenen Garten!

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