Functional Food: Wie wir in Zukunft essen könnten
Wir schreiben das Jahr 2050. Die Digitalisierung hat entgegen allen Befürchtungen nicht die eine Hälfte der Menschheit arbeitslos gemacht und die andere Hälfte in einen Zustand des untätigen Luxus versetzt. Im Gegenteil: Wir sind tätiger denn je, die Welt hat sich noch ein Stück beschleunigt und die Optimierung aller Lebensbereiche hält an. Effizienz ist mehr denn je das Maß aller Dinge, dem sich alles andere unterzuordnen hat. Auch das Essen. Wir müssen eigentlich kaum noch essen – wir ernähren uns nur.
Ein Shake zum Frühstück versorgt uns mit allem, was wir brauchen, um den ganzen Tag zu funktionieren. Zwischendurch ein Green Smoothie für den Lifestyle-Aspekt, und am Abend werden die Speicher mit Mikronährstoffen in Kapselform wieder aufgefüllt. Superschnelle, smarte Astronautennahrung – oder mit anderen Worten: Functional Food, das neue Fast Food. Ist das die Zukunft des Essens?
Wir schreiben das Jahr 2050. Die Digitalisierung hat entgegen allen Befürchtungen nicht die eine Hälfte der Menschheit arbeitslos gemacht und die andere Hälfte in einen Zustand des untätigen Luxus versetzt. Im Gegenteil: Wir sind tätiger denn je, die Welt hat sich noch ein Stück beschleunigt und die Optimierung aller Lebensbereiche hält an. Effizienz ist mehr denn je das Maß aller Dinge, dem sich alles andere unterzuordnen hat. Auch das Essen. Wir müssen eigentlich kaum noch essen – wir ernähren uns nur.
Ein Shake zum Frühstück versorgt uns mit allem, was wir brauchen, um den ganzen Tag zu funktionieren. Zwischendurch ein Green Smoothie für den Lifestyle-Aspekt, und am Abend werden die Speicher mit Mikronährstoffen in Kapselform wieder aufgefüllt. Superschnelle, smarte Astronautennahrung – oder mit anderen Worten: Functional Food, das neue Fast Food. Ist das die Zukunft des Essens?
Was ist Functional Food?
Eine offizielle Definition für Functional Food existiert nicht, aber grundsätzlich versteht man darunter Lebensmittel, die gesundheitsfördernde Wirkungen haben, weil sie reich an gewissen Mikronährstoffen sind. Zu den Mikronährstoffen zählen Vitamine, Mineralstoffe wie Calcium und Magnesium, Spurenelemente wie Zink und Eisen sowie sekundäre Pflanzenstoffe, die als Carotinoide und Flavonoide bezeichnet werden. Im weitesten Sinne trifft diese Definition auf fast alle Lebensmittel zu, sogar auf Schokolade, denn Kakao enthält Flavonoide, die den Endorphin- und Serotoninspiegel pushen. Außerdem wirkt Schokolade wie eine geringe Dosis Aspirin: Sie verdünnt das Blut. Auch die viel beschworenen Superfoods wie Chiasamen, grünes Gemüse und Beeren sind Functional Food, weil sie mit einem hohen Gehalt an sogenannten essenziellen Mikronährstoffen auftrumpfen. Das sind jene Mikronährstoffe, die für eine optimale Funktion des menschlichen Organismus unverzichtbar sind, die vom Körper aber nicht selbst produziert werden können und daher durch die Nahrung aufgenommen werden müssen.
Ist Genuss ein Luxusgut?
Wenn wir unseren kompletten Nährstoffbedarf mit Pulvern decken können, wozu sollen wir dann überhaupt noch essen?
Pulver, Pillen, Drogen?
Der zweite wichtige Baustein für einen funktionierenden Organismus sind, wenig überraschend, die drei Makronährstoffe Kohlenhydrate, Fett und Eiweiß. So weit, so gut. Aber: Während es wohl für die wenigsten Menschen ein Hindernis ist, genügend Kohlenhydrate und Fett zu sich zu nehmen, wird es bei Eiweiß schon schwieriger, und das Bewusstsein für Mikronährstoffe ist in der Regel ohnehin enden wollend. Dazu kommt, dass wir, um etwa unseren Bedarf an Omega-3-Fettsäuren decken zu können, jede Woche mindestens zwei Kilo Lachs verspeisen müssten.
Dass die wenigsten Menschen das tun, liegt auf der Hand, und ähnlich schwierig ist es, die anderen essenziellen Mikronährstoffe in ausreichender Menge über die Nahrung zu sich zu nehmen. Sie schützen aber nicht nur vor einer Vielzahl an Krankheiten, sondern kurbeln auch den Energiestoffwechsel an und machen uns damit leistungsfähiger – zu einem effizienteren Mitglied der Leistungsgesellschaft. Genau hier liegt der Ursprung von Functional Food. Und zwar von Functional Food im engeren Sinne, kurz gesagt: Pulver und Pillen. Auch bekannt als Supplemente oder Nahrungsergänzungsmittel, bisher vor allem unter Sportlern verbreitet und von der breiten Masse häufig als Drogen oder Chemiekeule verteufelt – zu Unrecht.
Das Prinzip: Man nehme alle Nährstoffe, die der Körper braucht, isoliere sie von mehr oder weniger unnötigem Beiwerk und mache sie in möglichst komprimierter, praktischer Form verfügbar. Proteinpulver, Magnesiumkapseln, Vitamintabletten & Co. waren geboren. Bei den seit einiger Zeit enorm gehypten Green Smoothies ist die Idee genau dieselbe. Um dem Mikronährstoffbedarf gerecht zu werden, sollten wir zwischen 800 Gramm und einem Kilo Obst und Gemüse täglich essen. Mindestens! Das ist umständlich und für viele illusorisch.
Ein Green Smoothie als Lunch?
Bei einer total personalisierten und optimierten Ernährung müssten wir nicht einmal mehr essen – nur noch Shakes und Smoothies trinken
Wenn man das ganze Grünzeug aber in den Mixer packt und Start drückt, hat man in Sekundenschnelle eine große Menge Mikronährstoffe in einem kleinen Glas Smoothie vor sich, das man in einem Zug austrinken kann. Kein Kochen, kein langes Essen riesiger Gemüsemengen, dafür aber die volle Ladung Mikronährstoffe. Das Spiel funktioniert auch mit Eiweiß: Die meisten Proteinpulver (sofern sie nicht vegan sind) bestehen aus Molkenprotein. Rührt man dieses mit Wasser an, hat man in einem Glas so viel Eiweiß wie in einer signifikant höheren Anzahl an Gläsern, wenn man einfach reine Milch trinken würde. Plus: Man hat nur das Eiweiß, nicht das Fett.
Wie wir unser Essen optimieren könnten
Das ist überaus praktisch und ein Musterbeispiel für Optimierung. In den Alltag lässt sich Functional Food dann so integrieren, dass man eine gewisse – von Variablen wie Gewicht, Alter und Aktivitätslevel abhängige – Kalorienmenge zu sich nimmt, die sich aus den drei Makronährstoffen Kohlenhydrate, Eiweiß und Fett zusammensetzt, und dass man dabei darauf achtet, Lebensmittel zu wählen, die eine möglichst hohe Mikronährstoffdichte aufweisen. Was dann noch fehlt, um den Tagesbedarf zu decken, wird ergänzt. Fertig.
Functional Foods oder Supplemente sind keine wie auch immer geartete Drogen, sondern schlichtweg konzentrierte Nährstoffe, die man zu sich nehmen kann, um Versorgungslücken im Organismus zu schließen, mit dem Zweck, gesund und leistungsfähig zu sein, zu bleiben oder zu werden. Der teils schlechte Ruf resultiert daraus, dass de facto der Großteil der Menschen mit einem Mangel an Mikronährstoffen lebt, der sich allerdings häufig nicht unmittelbar bemerkbar macht, vor allem bei Menschen mit niedrigem Aktivitätslevel, wodurch man leicht zu der Ansicht gelangen kann, dass die Einnahme von Supplementen ein unnötiger oder gar schädlicher Eingriff in den Stoffwechsel sei. Tatsächlich legen aber zahlreiche wissenschaftliche Studien nahe, dass jeder Mensch – unabhängig von Aktivitätslevel oder sonstigen Faktoren – zumindest gewisse Mikronährstoffe ergänzend zur Nahrung zu sich nehmen sollte.
In den letzten Jahren hat sich rund um all diese Pulver, Pillen und Superfoods ein gewaltiger Markt entwickelt, der Betrügern Tür und Tor geöffnet hat. Viele unnötige, minderwertige Produkte werden als Wundermittel angepriesen und zu Abzockerpreisen an unwissende Kunden verkauft, die glauben, ihrem Körper damit etwas Gutes zu tun. Das ist die Kehrseite der Medaille, aber wie immer gilt: Wissen ist Macht. Wer sich damit auseinandersetzt, welche Functional Foods sinnvoll sind, kann eigentlich nur gewinnen.
Warum Functional Food großes Zukunftspotenzial hat
Die Funktionalisierung von Lebensmitteln zu einem bestimmten Zweck ist es, die in einer auf Effizienz ausgerichteten Gesellschaft den großen Reiz ausmacht. Man kann das Prinzip von Functional Food natürlich noch weiterdenken und überspitzt feststellen: Wieso sollen wir überhaupt noch essen? Ist Genuss nicht ein Luxusgut, das wir uns aus Zeitmangel bald ohnehin nicht mehr leisten können, wenn sich die Welt – wovon auszugehen ist – noch weiter beschleunigt? Ist es nicht sinnvoller und praktischer, auf eine komplett personalisierte, optimierte Ernährung zu setzen, die keinerlei Aufwand erfordert und alles, was wir im Idealfall ohnehin nicht essen sollten, gleich außen vor lässt?
Derartige Konzepte gibt es bereits. Das Aushängeschild im Produktsortiment des britischen Unternehmens Huel ist das gleichnamige Pulver, das für sich beansprucht, eine vollwertige, gesunde Mahlzeit zu sein, zubereitet in weniger als zwei Minuten, also schneller als jedes Fast Food, und konsumiert sogar noch viel schneller. Perfekt für unsere To-go-Welt, die uns immer mehr abverlangt. Der Sinn der Sache aus der Sicht von Huel: eine ausgewogene Ernährung rein in Pulverform. Kein Essen mehr. Oder anders gesagt: das Todesurteil für Genuss und Gastronomie.
Functional Foods sind keine Drogen.
Nicht alles, was man als Pille einnimmt, ist ein Medikament. Functional Foods sind schlicht und einfach: Mikronährstoffe in konzentrierter Form
Nun ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass in naher Zukunft alle morgens mit dem Shaker aus dem Haus gehen und sich zum Lunch einen Green Smoothie reinziehen, aber der Trend in Richtung Functional Food und optimierter Ernährung wird zweifellos stärker, und für die Gastronomie wäre jetzt der ideale Zeitpunkt, auf den Zug aufzuspringen. In den USA zeigen sich schon erste Ansätze: „Protein is Power“ prangt in großen Lettern an der Wand der Protein Bar & Kitchen in Chicago, die auch eine Handvoll weiterer Standorte, darunter in Colorado und Washington D.C. betreibt. Auf der Karte finden sich diverse Bowls und Wraps mit protein- und mikronährstoffreichen Zutaten wie Quinoa, Avocado, grünem Gemüse, Huhn, Hummus und Ei, aber auch Porridge und ein Shake mit Spirulina, dem Algenpulver, das für eine himmelblaue Farbe sorgt. Zu jedem Gericht werden die Nährstoffe angegeben, und mittels Infoscreens können Interessierte sowie Skeptiker lernen, was es mit dem ganzen Protein auf sich hat.
Steht das Ende des Essens bevor?
Das Plant Café Organic in San Francisco bietet ein Menü aus kalifornischen und asiatisch inspirierten Speisen, Säften und Smoothies, die an die individuellen Bedürfnisse der Gäste angepasst werden können, und das Daluma in Berlin-Mitte produziert ein Pulver namens Pure Green Protein, Powerbars und einen Supergreen-Juice unter eigener Marke. Serviert werden unter anderem spezielle Bowls und probiotisches Müsli, aber auch Avocado-Toast und Hirsch-Meatballs.
Das Ende des Essens steht uns so schnell also noch nicht bevor, aber die Gastronomie tut wohl gut daran, in Functional Food keine Bedrohung, sondern eine Chance zu sehen und diese mit innovativen Konzepten zu nutzen.