Seit 25 Jahren erfasst Hanni Rützler in treffsicheren Food Reports den Wandel unserer Esskultur. Gerade in Zeiten der Pandemie ist ihr Weitblick somit besonders wertvoll. Aber: Wie entsteht so ein Foodtrend überhaupt? Und was kann er bewirken? Als Vorspeise zu unserer Foodtrend-Serie gibt’s einen Happen Fachwissen.
Dezember 9, 2021 | Text: Johannes Stühlinger | Fotos: Shutterstock, Thomas Wunderlich
Man müsste zumindest 66 Jahre alt sein, um den ersten offiziellen Foodtrend in unseren Breiten zumindest miterlebt haben zu können. Er lässt sich nämlich in der Tat ganz genau an einem Rezept der Edeka-Zeitschrift „Die kluge Hausfrau“ festmachen.
Man müsste zumindest 66 Jahre alt sein, um den ersten offiziellen Foodtrend in unseren Breiten zumindest miterlebt haben zu können. Er lässt sich nämlich in der Tat ganz genau an einem Rezept der Edeka-Zeitschrift „Die kluge Hausfrau“ festmachen.
In ihrer Septemberausgabe des Jahres 1955 wurde hier Folgendes präsentiert: Eine geröstete Scheibe Toastbrot,
gebuttert, mit je einer Scheibe Kochschinken und einem Ring Dosen-Ananas belegt und mit Goudakäse überbacken. Schon war er in aller Munde – der Toast Hawaii!
Ob man dieses aus heutiger Sicht eher plumpe Zusammenspiel von süß-sauer nun mag oder nicht, „der Toast Hawaii hat die Exotik, das Internationale in die deutsche Küche gebracht. Auch wenn das natürlich eine Form der Exotik ist, über die wir heute schmunzeln und die wir ironisch sehen“, sagt Manuel Trummer. Er ist Kulturwissenschaftler an der Universität Regensburg und erforscht die Foodtrends der vergangenen Jahrzehnte. Die Quintessenz seiner Arbeit könnte man so eindampfen: Foodtrends gibt es nur auf den gesättigten Märkten unserer Wohlstandsgesellschaften. Sie brauchen den Überfluss, der es möglich macht, in riesige Einkaufswagen zu stapeln, was hineinpasst.
Dank Cradle-to-Cradle und der weiterentwickelten Sharing Economy entsteht das Bedürfnis, Müll nicht nur wiederzuverwerten, sondern ihn erst gar nicht anfallen zu lassen. Bedenkt man, dass allein in der EU im Jahr 2020 88 Millionen Tonnen Nahrungsmittel verschwendet wurden, ein durchaus relevanter Trend. Schließlich bedeutet diese unglaublich große Zahl, dass jeder von uns pro Jahr 173 Kilogramm Lebensmittel einfach wegwirft. Sprich: Bei diesem Trend geht es jedenfalls einmal darum, mit Lebensmitteln sorgsamer umzugehen. Gleichzeitig spielt hier aber auch der achtsamere Umgang mit Verpackung und den immer intensiver aufkommenden „Unverpackt“-Läden eine große Rolle.
Künftig geht es nicht mehr nur um die eigene gesundheitsbewusste Ernährung, sondern um eine verantwortungsvolle Esskultur, die auch die Gesundheit des Planeten einschließt. Das bedeutet, wir legen in Zukunft besonders viel Wert darauf, welchen Energiebedarf die Speisen haben, die wir zu uns nehmen. Und das wiederum bedeutet, dass Produkte aus Algen etwa an Relevanz gewinnen werden. Vor allem aber auch Proteine aus Insekten. Dieser Trend folgt also sehr pragmatischen Überlegungen und bezieht auch technische Errungenschaften mit ein. Stichwort: In-vitro-Fleisch! Also Fleisch aus dem Labor …
Oder wie es die aktuell wohl renommierteste Ernährungswissenschaftlerin und Forscherin Hanni Rützler ausdrückt: „Foodtrends entstehen dadurch, dass der Lebensmittelüberfluss durch etwas Spezielles, ja gar Besonderes, ausgetauscht werden muss. Allerdings darf man Trends, welche normalerweise mehrere Jahre lang anhalten, nicht mit Phänomenen verwechseln, die nur von kurzer Dauer sind.“
Wir lernen also: Wenn wir zu viel von etwas haben, picken wir uns die Rosinen heraus und rufen einen Trend aus, der aber oftmals eigentlich nur ein Phänomen ist. Wie kann man das auseinanderhalten? Hanni Rützler hat sich dazu besonders viele Gedanken gemacht und postuliert: „Ein Trend muss immer eine Lösung auf ein Problem sein. Wenn dies nicht gegeben ist, so handelt es sich um ein Phänomen oder gar nur um ein It-Gericht.“ Kurz gesagt: Ein Blogger macht noch lange keinen Trend. Da braucht es schon mehr. Eine Pandemie zum Beispiel. Denn die Welt der Kulinarik und der Gastronomie wurde durch die Pandemie ganz gehörig durchgeschüttelt und innerhalb kürzester Zeit auf den Kopf gestellt.
Die Post-Corona-Gastronomie wird gemüsereicher sein. Davon ist Hanni Rützler überzeugt: „Wer in Zukunft in Gastronomie und Hotellerie reüssieren will, braucht ein unverwechselbares Profil.“ Und dieses wird sich zunehmend an einer fleischlosen oder fleischarmen Küche orientieren, meint die Expertin. So haben Studien eindrucksvoll bestätigt, dass die Akzeptanz von vegetarischen oder veganen Speisen währen der Pandemie massiv zugenommen hat. 42 Prozent der Deutschen etwa gaben zuletzt an, bewusst auf Fleisch zu verzichten oder den Konsum zu verringern. Dieser Trend wird sich auch nach dem letzten Lockdown (wann immer dieser sein wird) nicht mehr umkehren.
Die Lockdowns haben nicht nur die Bedeutung lokaler Lebensmittelproduktion weiter verstärkt, sondern zugleich eine neue Sehnsucht nach kulinarischen Entdeckungen und exotischen Genüssen geweckt. Local Exotics versprechen, diesen Widerspruch in Zukunft aufzulösen. Und das auf eine Art und Weise, die man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen muss: Durch den längst offensichtlichen Klimawandel gedeihen auch in unseren Breiten Nahrungsmittel, die hierzulande bis dato keine Chance gehabt hätten. Und: Durch neue technische Errungenschaften lassen sich selbst ohne Meereszugang Meeresfrüchte und -fische züchten! Wir müssen also in Wahrheit gar nicht mehr weit reisen, um Exotik zu schmecken.
Nein, bei E-Food geht es nicht allein darum, Lebensmittel über digitale Kanäle zu vertreiben. Die Entwicklung zu E-Food habe das disruptive Potenzial, unser gesamtes Ernährungssystem nachhaltig zu verändern, ist sich Rützler sicher. Sie geht davon aus, dass digitale Möglichkeiten unser gesamtes Ernährungssystem nachhaltig verändern werden. Schließlich befähigen uns die neuen digitalen Welten nicht nur dazu, unseren Konsum aktiver selbst zu gestalten, sondern auch dazu, die Lieferketten von Produkten exakt zu erfassen. Moderne Apps ermöglichen es Konsumenten, bewusster einzukaufen und gleichzeitig mehr Bezug zu den Produkten, die man konsumieren möchte, aufzubauen. In den digitalen Möglichkeiten scheinen sich unendliche Weiten aufzutun, die am Ende vor allem den Konsumenten eigenständiger machen und ihm somit mehr Macht geben, als es unsere heutige Lebensmittelindustrie wohl gerne sehen möchte.
Doch die Krise entpuppt sich zunehmend auch als Chance. Für alle Beteiligten. Davon ist Hanni Rützler überzeugt. In ihrem gerade erschienenen Food Report ergründet die Autorin und Trendforscherin des international renommierten Zukunftsinstituts aktuell besonders spannende Entwicklungen. Schließlich hat die Pandemie unser aller Fokus auf den Umgang mit Nahrungsmitteln und unsere Gesundheit gelegt.
Aber was kann man nun daraus ableiten? Werden wir bald nur noch Maden essen? Wird Fleisch aus dem Labor auf unseren Tellern landen oder gar ganz von ihnen verschwinden? Und: Was hat die Klimakrise für Auswirkungen auf unsere Ernährung? Diese Serie wird sich mit all diesen Fragen beschäftigen. Und Antworten geben.
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