Die Ära Food-Blogger

Sein Essen mit Hunderttausenden Menschen teilen? Für manch einen ist das normaler Alltag. Das Internet ist voll von Foodblogs, guten wie schlechten. Aber sind Blogger wirklich die neuen Connoisseurs der Kulinarikwelt oder doch nur Poser mit Smartphone? Ein Bericht über den Status quo.
Oktober 28, 2021 | Text: Jenni Koutni | Fotos: beigestellt

Es ist gar nicht so lange her, dass das Phänomen Foodblogger auf der Bildschirmfläche erschien. Vorangetrieben durch Smartphones und Social Media-Plattformen, gestalteten sich die Anfänge noch recht unschuldig. Man sprach darüber, wo man gegessen hat, wie es aussah und wie es schmeckte – plötzlich jedoch konnte man dies mit vielen Leuten gleichzeitig teilen und das nach wenigen Klicks. Tipps und Empfehlungen gingen bald über den Familien- und Freundeskreis hinaus, jeder mit Facebook- oder Instagram-Account mutierte zum Kulinarikexperten und negative Bewertungen auf Yelp wurden zur gefürchteten Rache für unfreundliche Bedienung oder langsamen Service.

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Es ist gar nicht so lange her, dass das Phänomen Foodblogger auf der Bildschirmfläche erschien. Vorangetrieben durch Smartphones und Social Media-Plattformen, gestalteten sich die Anfänge noch recht unschuldig. Man sprach darüber, wo man gegessen hat, wie es aussah und wie es schmeckte – plötzlich jedoch konnte man dies mit vielen Leuten gleichzeitig teilen und das nach wenigen Klicks. Tipps und Empfehlungen gingen bald über den Familien- und Freundeskreis hinaus, jeder mit Facebook- oder Instagram-Account mutierte zum Kulinarikexperten und negative Bewertungen auf Yelp wurden zur gefürchteten Rache für unfreundliche Bedienung oder langsamen Service.

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Gänzlich ungestellte Fotos vermittelten eine gewisse Authentizität und plötzlich war man nicht mehr angewiesen auf die elitäre Meinung gesichtsloser Gourmetjournalisten, man sammelte Eindrücke von Restaurantbesuchern wie du und ich. Direktes Feedback und eine tatsächlich messbare Reichweite waren wiederum für die Restaurants ein attraktives neues Marketingformat. Foodblogger brachten Besucher in Sternerestaurants, die nicht zur Zielgruppe zählten. Jenen, die den Schritt über die Schwelle eines gehobenen Etablissements nicht wagten, konnte ein Instagram-Post die Hemmschwelle nehmen.

Und heute? Es wirkt fast so, als hält sich nun jeder, der ein Smartphone besitzt und mehr als einmal die Woche auswärts isst, für einen sogenannten Foodblogger. Zugegeben, der Unterschied zwischen den „Echten“ und den Posern ist manchmal erst auf den zweiten Blick ersichtlich.

Die (Un)Bestechlichen

Für eine gewisse Zeit sah man Foodblogger oder Blogger im Allgemeinen als unabhängige Meinungsmacher, die nicht gegen Bezahlung, sondern aus Leidenschaft ihre Eindrücke mit der Welt teilen. Doch auch wenn das anfangs noch stimmte, geschah bald genau das Gegenteil. Zu verführerisch waren die Aussicht auf Geschenke und Einladungen ins Haubenlokal. Viele Blogger arbeiten zwar immer noch unabhängig, als Bezahlung nimmt man aber liebend gerne das mehrgängige Gratis-Essen entgegen.

Das Restaurant bekommt für dieses Wohlwollen im Gegenzug Gratiswerbung und eine positive Review, mehr oder minder authentisch. Aber wie so oft trennt sich auch hier die Spreu vom Weizen. Denn aus der Fülle an schlechtbelichteten Fotos im Internet stechen jene heraus, die sich mit der ästhetischen Aufbereitung dieser „Food Photography“ beschäftigen. Kulinarische Kunstwerke der Spitzengastronomie wollen genauso gut in Szene gesetzt werden wie das Streetfood um die Ecke. Aber schöne Fotos erzählen dem Kenner natürlich nichts über das geschmackliche Erlebnis, es braucht Text, Inhalt, – „Fleisch“, wenn man so will.

Klickt man sich durch die Lebensläufe der Menschen hinter guten Foodblogs, verwundert es daher nicht, dass die meisten einschlägige berufliche Erfahrungen haben, ob in der Gastrobranche, im Journalismus oder Content Creation. Die leserliche Aufbereitung und auch das richtige ästhetische Setting will eben gelernt sein. Aber was macht denn nun einen guten Foodblogger aus? Und wie entlarvt man jene, die nur auf gratis Einladungen aus sind?

Gerüchteküche

Fotografische Skills, ein Sinn für Ästhetik und ein Gefühl fürs Verfassen von Texten gehören heutzutage zum Food-Bloggertum dazu. Weiterer Faktoren sind Spontanität und Schnelligkeit. War ein Restaurant heute noch heiße News, so ist es am nächsten Tag bereits wieder „gegessen“. Foodblogger müssen daher schnell sein und ihre Fühler jederzeit weit ausstrecken. Follower, vor allem in der Kulinarik-Community, giert es stets nach Neueröffnungen und frischem Content. Allzu viel Aufgewärmtes ist nur schwer verdaulich und immer wieder die gleichen Teller im gleichen Restaurant zu posten, wirkt schnell altbacken.

Um aus der Masse hervorzustechen, bedarf es mehr als schöner Fotos und netter Worte. Wenn Justus aus Wien Neubau mit seinen 200 Instagram-Abonnenten das neueste vegane Brunchlokal als „geil“ bewertet, reicht das noch lange nicht aus. Aber fachlich gut recherchiert, mit Hintergrundwissen, einem Verständnis für die Materie und der nötigen Reichweite, hat ein guter Foodblogger immer noch die Macht, ein fast vergessenes Restaurant zum Place-to-be zu machen.

LIKE4LIKE? Nicht nötig.

Die wahre Kunst ist es also, in wenigen, Social Media gerechten Worten ein Gericht zu beschreiben, aber auch seine Seele auszudrücken. Schlechte Foodblogger lassen ihre Follower gerne mal alleine dastehen. Wer ständig nur textlose Fotos oder abgedroschene Phrasen raushaut, tut sich und seinen Lesern nichts Gutes. Ein Beispiel dafür, wie’s funktioniert, liefern die Kopenhagener Anders Husa und Kaitlin Orr, die zusammen den einflussreichsten Foodblog Skandinaviens führen.

Auf „anders&kaitlin“ bespricht man Restaurants nicht nur ausführlich, das Erlebnis wird auch kritisch mit früheren Besuchen verglichen. Bei ihnen ist man immer ganz nah dran an Gerüchten und Insidernews der Branche – gegen einen Mitgliedspreis, wohlgemerkt. Hochwertiger Inhalt – wen wundert‘s – ist also nicht immer gratis.

Einige, die mit einem Foodblog begannen, können sich heute tatsächlich als Unternehmer bezeichnen. So auch die Philippinin Cheryl Tiu Snyder. Sie wurde vom Magazin Tatler erst kürzlich in die Riege der einflussreichsten Tastemaker Asiens aufgenommen. Mit ihrem Gespür für Trends machte sie ihren Namen zum Unternehmen, gründete die Ginmarke Proclamation Gin und die Event- und Consultancy-Plattform Cross Cultures. Ihre 23.000 Abonnenten auf Instagram folgen regelmäßig Lokalaugenscheinen bei kulinarischen Hotspots rund um den Globus. Gewürzt wird das Ganze mit beispielsweise einem Selfie mit den „Breaking Bad“-Stars Aaron Paul und Bryan Cranston, die ihren preisgekrönten Dos Hombres Mezcal promoteten. 1150 Personen gefiel das.

Dass man von den Likes auf bestimmten Social Media-Plattformen aber nichtimmer auf den Erfolg schließen kann, zeigt beispielsweise Amélie Vincent aka thefoodalist. Die Belgierin gilt als Paradebeispiel einer Foodbloggerin, die es zum erfolgreichen Unternehmertum brachte. Als gut gebuchte Kolumnistin und Autorin verfasste sie nebenbei auch noch das Buch „150 Restaurants you need to visit“ und rief die Initiative „The Food Resistance“ ins Leben, die während der Covid-19-Pandemie Krankenhäuser mit gutem Essen versorgte. Doch ihre Beiträge, die ihre über 80k Abonnenten auf Instagram fast täglich zu sehen bekommen, schaffen es selten auf über 300 Likes.

Egal ob für ein schnelles Mittagessen oder als Magenfüller nach der Partynacht um 5 Uhr am Morgen, ein Döner ist immer für dich da und rettet dein Leben.
Per Meurling in einer Review über ein Berliner Kulturgut

Als Hauptplattform nutzen viele führende Foodblogger nämlich immer noch ihre Website. Die Blogbeiträge werden hier ausführlich aufbereitet, vernab der begrenzten Zeichenanzahl von Instagram, Twitter und Co. Julien Walther, hauptberuflich IT-Unternehmer aus Hamburg, vollführt mit seinem Blog Trois Etoiles dieses Kunststück par excellence. Restaurant-Reviews samt Preise, Bewertung der Atmosphäre,Hintergrundinfos und Fotos lassen keine Fragen mehr offen. Dass seinerseits kein Interesse an Einladungen, Blogger-Events oder Kooperationsanfragen besteht, gibt Walther sogar explizit an. Zur unabhängigen Bewertung kommt außerdem immer eine Einladung zur Diskussion auf Facebook hinzu.

Gute Foodblogger kreieren also Austausch – eine Königsdisziplin, die Per Meurling aka Berlin Food Stories perfekt beherrscht: Seit 2012 bloggt die selbsternannte „hungriest person in Berlin“ über alles, was gerade cool ist in der Kulinariklandschaft der deutschen Hauptstadt. Der versierte Public Speaker und Social Media-Experte machte Berlin Food Stories außerdem zur erfolgreichen Kreativagentur für den Food- und Event-Sektor. Für das gewisse Etwas sorgen private Eindrücke und eine Prise Humor.

Ein bisschen mehr über die Person hinter den Reviews zu erfahren, ist immer noch ein Unterscheidungsmerkmal zwischen Foodblogger und professionellem Journalisten. Kat Odell startete beispielsweise als freie Redakteurin im Bereich Kulinarik und ist heute eine erfolgreiche One-Woman-Show, die ihren Alltag mit 56.400 Instagram-Abonnenten teilt. Sie ist zweifache Buchautorin, Investorin und schreibt Beiträge für Fachmagazine und Kolumnen für Modezeitschriften.

Essen verbindet

Foodblogs bleiben wohl auch in Zukunft ein fixer Stern am Restauranthimmel. Wirklich erfolgreich werden aber nur jene, die ihr Handwerk verstehen und das Gesamtpaket aus Ästhetik, Skills und Fachwissen besitzen. Schlussendlich kommt es auch auf eines an: Essen als ein Erlebnis zu verstehen. Das ist es wohl auch, was Blogger, Journalisten und Gourmants ohne Smartphone miteinander verbindet.

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