Dem Schimmel sei Dank! Wie der Schimmelpilz Botrytis die Weinwelt revolutioniert
Fluch und Segen liegen oft nahe beieinander. Für die einen ist etwa ein Grauschimmelpilz der ultimative kulinarische Spielverderber, für andere der Heilbringer schlechthin – vor allem, wenn man in der Welt des Weins zuhause ist.
Denn der besondere Schlauchpilz namens Botrytis cinerea ist im Süßweinbereich für einen unverwechselbaren und besonders exklusiven Geschmack verantwortlich. Zudem gibt es weltweit nur wenige Regionen, in denen dieser Pilz landwirtschaftlich kultiviert werden kann. Dazu zählen die Tokaj zwischen den Flüssen Theiß und Bodrog, die Sauternes mit dem Ciron, das Weinbaugebiet rund um die Mosel sowie die Region rund um den Seewinkel des Neusiedlersees.
Fluch und Segen liegen oft nahe beieinander. Für die einen ist etwa ein Grauschimmelpilz der ultimative kulinarische Spielverderber, für andere der Heilbringer schlechthin – vor allem, wenn man in der Welt des Weins zuhause ist.
Denn der besondere Schlauchpilz namens Botrytis cinerea ist im Süßweinbereich für einen unverwechselbaren und besonders exklusiven Geschmack verantwortlich. Zudem gibt es weltweit nur wenige Regionen, in denen dieser Pilz landwirtschaftlich kultiviert werden kann. Dazu zählen die Tokaj zwischen den Flüssen Theiß und Bodrog, die Sauternes mit dem Ciron, das Weinbaugebiet rund um die Mosel sowie die Region rund um den Seewinkel des Neusiedlersees.
Denn der wählerische Pilz fordert ganz bestimmte klimatische Voraussetzungen: Viel Wasser in der Nähe, kühle, feuchte morgendliche Nebel, dazu befruchtende Schauer, die sich spontan einstellen, und warme Nachmittage. Wenn das gegeben ist, blüht dieser Schlauchpilz auf und bohrt sich mit Genuss in vollreife Trauben. Seine Sporen setzen sich dann auf der Schale fest, durchdringen diese.
Warum nicht eine Trockenbeerenauslese als eigenen Weingang in der Mitte des Menüs servieren?
Peter H. Müller hat als Sommelier und Chef neue Ideen mit Botrytis-Weinen
Das führt dazu, dass der Wasseranteil der Traube verdunstet. Der flüssige Zucker bleibt sodann in hochkonzentrierter Form in der Traube zurück. Die perfekte Basis für Süßwein der Sonderklasse – von Pilz gemacht. Als Europas größter Steppensee bietet der Neusiedlersee mit seinen zahllosen Lacken und Wiesen einzigartige Brutstätten für diesen Edelschimmel. Genau dort ist Gerhard Kracher und sein Weinlaubenhof zuhause.
In dritter Generation ist bei ihm in Illmitz dieser Schimmel ein unverzichtbarer und loyaler Mitarbeiter, der gehegt und gepflegt werden muss: „Der Botrytis ist ein Lebewesen und daher mehr als sensibel. Es darf nicht zu heiß, nicht zu trocken und nicht zu kalt sein – wenn dem Pilz etwas nicht passt, stirbt er. Dann schmeckt das Endprodukt modrig statt nach Himbeerzuckerl und Kräuterwürze“, sagt Kracher.
Botrytis ist ein Lebewesen und sehr sensibel.
Wie man einen Pilz lesen lernt
Will heißen: Botrytis-Wein zu produzieren ist eine hohe Kunst und bringt enormen Aufwand mit sich. Pro Weingarten sind zwei bis sechs Erntevorgänge notwendig. Die Erntezeit streckt sich von Anfang Oktober bis Weihnachten. Ein Umstand, der auch personaltechnisch immer wieder eine echte Herausforderung ist.
Ein Süßwein zum Digestif hat um ein Viertel weniger Alkohol als Whiskey. Das spricht für ihn!
Sommelier Stefan Neumann über Botrytis-Weine zur Nachspeise
All das hat Großvater Alois senior gerne in Kauf genommen. Er war einer der ersten Weinbauern am Neusiedlersee, die aus edelfaulen Trauben Süßweine produzierten. Er lernte den Pilz zu lesen, die Arbeitsweise der Botrytis-Pilze zu definieren und die beste Zeit der Lese festzulegen. Sein Sohn Alois Kracher junior war davon ebenso fasziniert und baute als gelernter Chemiker das vom Vater weitergegebene Wissen aus.
Vor allem in den USA steht der Name Kracher seither für die besten Süßweine der Welt. In diese großen Fußstapfen ist wiederum Sohn Gerhard Kracher im Jahr 2007 getreten: „Wir haben es geschafft, das Beste aus drei Generationen in die Flaschen zu bringen und dafür bin ich dankbar“, sagt er. Aber kommen wir zurück zum wahren Star dieser Story: dem Botrytis-Pilz. Der Name stammt von dem lateinischen Wort für „traubenförmig“.
Ob die alten Römer das Talent des fressfreudigen Pilzes schon erkannt haben, ist nicht überliefert. Sehr wohl erzählt wird die Legende von ungarischen Winzern aus der Region Tokaj. Im Jahr 1631 drohten Überfälle der türkischen Streitmächte.
Also beschloss man die Weinlese auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen. Ein langer sonniger Herbst folgte, feuchte Frühnebel zogen ins Land – und mit ihnen die Botrytis, die den Beeren das Wasser stahl. Dennoch wurden die Beeren gepresst und eingelagert. Jahre später offenbarte sich erstmals der sogenannte „Tokajer Ausbruch“.
Die Balance ist alles
Heute markiert die Region Tokaj eine ganz besondere Süßwein-Gegend, ist sich der in London tätige Master Sommelier Stefan Neumann sicher. „Die große Frage bei solchen Weinen ist immer die so schwierige Balance zwischen Säure und Süße“, erklärt er.
Eben diesen Tanz auf der Rasierklinge würde man in der Tokaj derzeit besonders gut beherrschen. Auch sei – ähnlich wie bei den Trockenbeerenauslesen aus Österreich – das Preis-Leistungs-Verhältnis sehr gut.
„Teilweise werden diese Weine aus meiner Sicht aber zu günstig angeboten, das kann sich für Winzer oft nicht rechnen“, sagt Neumann und nennt freilich auch einen Grund dafür: „Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen bewusst versuchen, gesund zu leben und auf Zucker zu verzichten.“
Das mache es auf dem Markt für Süßweinproduzenten nicht zwingend einfacher. Außerdem, so der Fachmann, würde sehr oft schlichtweg auf die Möglichkeit vergessen, Süßwein anzubieten. „Wir als Sommeliers haben die Aufgabe, den Menschen diese Option zu offerieren. Ich merke, dass das oft sehr gut ankommt.“
Zumal – und das wiederum wird oft vergessen – im Vergleich zu anderen Digestifs wie etwa Cognac, Rum oder Whiskey ein Süßwein um ein Viertel weniger Alkoholgehalt aufweist. Was in Sachen Gesundheit und Kalorienaufnahme wiederum eine Trumpfkarte ist.
Neumann: „Außerdem haben Süßweine für den Sommelier und den Gastronomen den Vorteil, dass sie nicht wie anderer Weine nach dem Öffnen schnell verderben.
„Eine Trockenbeerenauslese kann ich schon drei oder vier Wochen offen stehen lassen, da passiert nichts“, macht Neumann aufmerksam. Daher lautet auch sein persönliches Credo: Jede Chance nutzen, um den Gast mit einer geschenkten Kostprobe auf die süße Weinseite zu locken.
Trend muss gesetzt werden
In das gleiche Horn stößt Peter H. Müller. Der gebürtige Ulmer ist heute im burgenländischen Gols in seinem Heimlichwirt sowohl als Chef als auch als Sommelier aktiv. „Botrytis-Weine sind derzeit nicht unter den Top Fünf der liebsten Weinarten“, stellt er fest. Der Grund dafür ist seiner Meinung nach keineswegs in Qualitätsmängeln zu finden. Ganz im Gegenteil seien diese Weine die Königsdisziplin.
„Es ist dabei maximale Genauigkeit und unglaublich viel Fachwissen notwendig“, streut er Kracher und Co. Blumen. Dennoch hätten in den vergangenen Jahrzehnten Medien und Sommeliers stets nur trockene Weine propagiert. „Das hat sich in den Köpfen der Gäste verankert“, sagt Peter H. Müller und fügt an: „Nun liegt es eben auch wieder an uns und allen, die sich mit dem Thema öffentlich befassen, den Süßweinen wieder Platz zu geben.“
Traditionen neu überdenken
Es wäre allerdings langweilig, schlicht die Klassik aufleben zu lassen und eben Foie gras mit einer Trockenbeerenauslese als Vorspeise zu servieren oder eine Kardinalschnitte mit einer Auslese auf die Karte zu setzen. „Das sind aus meiner Sicht längst überholte Kombinationen, die man neu überdenken muss“, sagt der Experte.
Alte Kombinationen gilt es neu zu überdenken
Schließlich würde etwa das Gänseleber-Teil vor einem achtgängigen Menü den Gast schon sehr früh sättigen und die Lust auf alles, was noch kommen soll, schmälern. Stattdessen plädiert der 42-Jährige dafür, diesen besonders erlesenen Tropfen jene Bühne zu geben, die sie auch verdienen.
Wenn dem Pilz etwas nicht passt, schmeckt der Wein gleich modrig
Botrytis-Meister Gerhard Kracher
„In der Mitte eines Menüs als alleinstehender Gang“, so sein Vorschlag. „Dann darf sich der Gast einmal 15 Minuten nur mit diesem Glas befassen und wir als Sommelier haben die Chance, viel dazu zu erzählen“, so sein Nachsatz. Jedenfalls eine spektakuläre Form, um Süßweine in den Köpfen der Menschen neu zu verankern.
Als weitere spannende Option sieht Müller das Zusammenspiel aus sehr intensiven Geschmacksnoten wie Röstaromen und einem Süßwein. Das würde Spannung schaffen und nicht einfach eine vorhandene Süße so sehr intensivieren, dass die ganze Sache in Zucker ertrinkt.
Süßwein auf Abwegen
Solche Ansätze gehen bei Gerhard Kracher freilich runter wie Öl. „Es werden Tausende Flaschen Weiß oder Rot verkauft, ehe einmal eine Flasche Süßwein über den Tresen geht“, sagt er. „Ich bin auch überzeugt, dass die schwer und künstlich gesüßten Wein-Massenproduktionen in den 1970er- und 1980er-Jahren schuld an dieser Entwicklung sind. Viele Leute sind aus dieser Zeit noch geschädigt“, stellt Kracher fest. Erinnerungen an den damals omnipräsenten „Kopfwehwein“ hat ein Großteil der Bevölkerung noch im Gedächtnis.
Kopfweh hatte Gerhard Kracher bislang nur, wenn er Cocktails schlürfen musste. „Ein Cocktail war für mich stets ein süßer Alptraum mit einem Strohalm und einem Schirmchen drin“, sagt er. Aber was die Barchefs von heute mit meinem Süßwein zaubern, begeistert mich,“ sagt Kracher staunend.
Und damit steht er keineswegs alleine dar – auch Peter H. Müller ist ein Freund von derartigen Experimenten. „Ich verstehe auch nicht, warum manche meinen, das Mischen des Weins mit Zutaten aus der Bar wäre ein Frevel“, schüttelt er den Kopf. Schließlich hätten viele ganz berühmte und legendäre Drinks edelsten Champagner als Grundlage und keiner mockiert sich darüber. An einem Kir Royal stößt sich wahrlich kein Gourmet, vielmehr verbindet man damit eine gewisse Form von Nostalgie.
Und Torsten Aumüller, Geschäftsführer des Neusiedlersee DAC – unter diesem Herkunftslabel sind die Süßweine der Region vereint – ist von diesen neuen Wegen förmlich überzeugt: „Was hier im Entstehen ist, kann dem Thema Süßwein in Österreich zu neuem Aufschwung verhelfen.“
Sodass man vielleicht bald nicht nur im erlesenen Weinkennerkreis sagt: Dem Schimmel sei Dank!