Yannick Franques: „Das ist ein historischer Moment“
Mit rot angeschwollenen Augen blickt ein übernächtiger Mann direkt in eine unbekannte Zukunft. Darunter prangt eine Headline: „The Nueva Nouvelle Cuisine: How Spain became the New France“. Die Rede ist vom Cover des renommierten New York Times Magazines, das an jenem 10. August 2003 ein gewisser Ferran Adrià mehr oder weniger zierte. Heute zählt das wirkmächtige Magazincover zu den wohl einschneidendsten Publikationen gastronomischer Geschichtsschreibung.
Mit rot angeschwollenen Augen blickt ein übernächtiger Mann direkt in eine unbekannte Zukunft. Darunter prangt eine Headline: „The Nueva Nouvelle Cuisine: How Spain became the New France“. Die Rede ist vom Cover des renommierten New York Times Magazines, das an jenem 10. August 2003 ein gewisser Ferran Adrià mehr oder weniger zierte. Heute zählt das wirkmächtige Magazincover zu den wohl einschneidendsten Publikationen gastronomischer Geschichtsschreibung.
Und während Mastermind Adrià selbst einmal zu Protokoll gab, dass damit aus dem Restaurant El Bulli überhaupt erst der Mythos El Bulli wurde, löste es vor allem eines aus: Die bis heute anhaltende Debatte, was die französische Küche heute noch wert ist.
Das Ziel ist klar: Wir holen den zweiten Stern zurück!
Yannick Franques zieht mit dem gesamten Team des La Tour d‘Argent an einem Strang
Nur wenige haben sich so intensiv mit dieser Frage beschäftigt wie Yannick Franques. Seit 2020 ist der Franzose Executive Chef, pardon: Chef exécutif im sagenumwobenen Pariser La Tour d’Argent. Sagenumwoben deshalb, weil es getrost als Prototyp einer jahrhundertealten Gourmetinstitution bezeichnet werden kann. Seit dem 16. Jahrhundert geben sich hier von Kardinal Richelieu bis hin zu Marlene Dietrich die Reichen, Mächtigen und vor allem Fressverrückten die Klinke in die Hand. Nicht zuletzt, um in den Genuss von einem der legendären Entengerichte zu kommen, allem voran dem berüchtigten „Canard au sang“. Der Blutente also, die in Form eines geradezu liturgisch anmutenden Rituals serviert wird. Von 1933 bis 1996 hielt das Tour d’Argent durchwegs drei Michelin-Sterne. Heute vergibt der Guide Michelin nur noch einen Macaron.
Warum, daraus machte die scharlachrote Küchenbibel seit der ersten Herabstufung auf zwei Sterne 1996 keinen Hehl: Den Testessern fehlten jene innovativen Elemente, die die meisten anderen Dreisterner über kurz oder lang vorgenommen hatten. Ein Kritikpunkt, der mit Yannick Franques hinter dem Herd jedenfalls der Vergangenheit angehört. „Das Ziel ist klar: Wir holen den zweiten Stern zurück“, so der Spitzenkoch unumwunden, der 2004 zum prestigeträchtigen „Meilleur ouvrier de France“ gekürt wurde. Dass das mehr als ein einzelkämpferisches Lippenbekenntnis ist, wird schnell klar: Ab April dieses Jahres wird für neun Monate umgebaut. „Es ist ein historischer Moment für dieses Haus“, schwärmt Franques. Und: „Federführend an diesem Projekt dabei zu sein, das erlebt man als Koch bestenfalls einmal in seinem Leben.“
Dass der 51-Jährige dafür der richtige Mann ist, das beweist sein beeindruckender, zutiefst französischer Werdegang. Wie genau aber will Yannick Franques das historische Epizentrum französischer Klassik zu neuer Blüte führen? Wie geht er diesen delikaten Drahtseilakt an: Tradition bewahren und zeitgleich an zeitgemäßem Leben gewinnen?
Fußballer mit gewissem Händchen
Die Geschichte vieler Küchenchefs beginnt ja meistens mit der Mutter. Da wird der Küchenpatriarchin fleißig unter die Arme gegriffen. Ein geschmackliches Erweckungserlebnis nach dem anderen gesammelt. Frühkindliche Gaumenprägungen ein ganzes Karriereleben hochgehalten. „Das war bei mir ganz anders“, fackelt Franques nicht lange. „Zu Hause habe ich nicht gekocht. Mich hat auch die Schule nicht sonderlich interessiert. Dafür war ich ein großartiger Fußballer.“ Der junge Yannick spielte in einem berühmten Pariser Club, galt als vielversprechendes Naturtalent. Und dann kam im entscheidenden Moment doch die Mutter ins Spiel. Sie sprach ein Machtwort: Anstatt sein Leben dem Fußball zu verschreiben, solle ihr Sohn etwas „Richtiges“ lernen.
Und weil ihm in der Schule die Kochkurse noch am besten gefielen, begann er eine Kochlehre im Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine. „Es war ein traditionelles Restaurant mit Spezialitäten aus der Region Charente. Dort habe ich die Basics gelernt“, erinnert sich Yannick Franques. Der Inhaber bemerkte schnell das Talent seines Lehrlings und schickte ihn ins renommierte Hôtel de Crillon nach Paris zu Christian Constant.
Ich möchte neue Gerichte kreieren und dabei die Geschichte des Hauses würdigen.
Für Yannick Franques ergänzen sich Vergangenheit und Zukunft hinter dem Herd ideal
Der damalige Sous Chef war Éric Fréchon, heute Herr über einen der schillerndsten Dreisterner des Landes, das Épicure im Pariser Le Bristol. Nach Yanniques Stationen quer durch Frankreich holte Fréchon seinen einstigen Commis für ganze acht Jahre als ersten Sous Chef in seinen Gourmettempel zurück. Als schließlich André Terrail, Inhaber und Geschäftsführer in dritter Generation des Tour d’Argent, Fréchon nach einem bewährten Vertrauensmann fragte, wer sich am besten für sein ehrgeiziges Zukunftsprojekt eignen könnte, musste der nicht lange überlegen …
to be continued
Wie Franques die französische Klassik im neuen alten Tour d’Argent wachküssen möchte, davon gab er jetzt im Februar als Gastkoch im Hangar-7 in Salzburg ein beeindruckendes Zeugnis ab. Das lag nicht zuletzt an der kongenialen Unterstützung der heimischen Kochelite: Das Hangar-7-Küchenteam rund um Executive Chef Martin Klein und seinen beiden Küchenchefs Tommy Eder-Dananic und Martin Ebert beweist schließlich konstant und mit jedem Handgriff: Da weiß man, was man tut. Und französische Klassik beherrscht man hier mindestens genauso aus dem ff wie in den berühmtesten Küchen an der Seine. Dafür bürgt kein Geringerer als Jahrhundertkoch und Ikarus-Patron Eckart Witzigmann.
Die Tartelette mit Kürbis, Ingwer und Lakritz genauso wie der Osietra Imperial Kaviar mit Avocado (ein geradezu himmlisches Wunderding an Texturrafinesse) verdeutlichen mit schnörkellosem Könnertum, was Yannick Franques meint, wenn er von „neuen Gerichten“ spricht, „in denen die DNA und Geschichte des Tour d’Argent gewürdigt“ werden. Ein weiteres Highlight: Die Entenbrust mit Bete und Bergamotte. Damit zitiert Franques das klassische Geschmacksspektrum der französischen Entenzubereitung lediglich – und interpretiert sie auf genauso puristische wie virtuose Art und Weise neu.
Fazit: Franques klassische Haute Cuisine kommt ganz ohne jene erschlagende Opulenz aus, die sie in Vergangenheit immer wieder ins gastronomische Abseits befördert hatte. Mit subtilen Twists beweist Franques: Die Nouvelle Cuisine ist lebendig wie eh und je. Die jahrhundertealte Geschichte der Tour de d’Argent – sie ist mit ihm noch lange nicht auserzählt.
www.hangar-7.com
tourdargent.com
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YANNICK FRANQUES. 1971 nahe Paris geboren, macht Yannick Franques seine Kochlehre in einem traditionellen Restaurant in Neuilly-sur-Seine. Es folgen mehrere Stationen in den besten Restaurants Frankreichs: Das Crillon, das Grande Cascade oder das Violon d‘Ingres in Paris, aber auch das Louis XV in Monaco. Im Pariser Bristol schließlich arbeitet Franques acht Jahre lang als erster Sous Chef von Éric Fréchon. 2004 wird er mit dem prestigeträchtigen Titel „Meilleur Ouvrier de France“ ausgezeichnet. Im Château Saint-Martin in Vence holte er zwei Michelin-Sterne, bevor er 2020 Executive Chef im legendären La Tour d‘Argent wurde.