Wie aus Alex Atala Brasiliens kulinarischer Robin Hood wurde
Es gibt weltweit wohl keinen einzigen Koch, der die Küche eines ganzen Landes dermaßen revolutioniert hat, wie Alex Atala. Noch dazu ist das Land, von dem hier die Rede ist, eines der größten der Welt: Brasilien ist über 23-mal so groß wie Deutschland und hat fast dreimal so viele Einwohner.
Als Alex Atala Ende der 1990er-Jahre sein D.O.M.-Restaurant in São Paulo eröffnete, ahnte niemand, was er von hier aus zustandebringen würde: Der bis dahin als „Arbeiteressen“ verpönten brasilianischen Küche verlieh er durch neue Zugänge internationale Strahlkraft. Er holte kleine Produzenten mit raren, oft vergessenen Produkten aus dem Amazonas vor den Vorhang – und machte Brasiliens Lebensmittelproduktion ein ganzes Stück nachhaltiger.
Die New York Times kürte ihn 2013 zu einer der 100 einflussreichsten Personen weltweit. Auf der World’s 50 Best-Liste fand sich sein Restaurant zu Spitzenzeiten auf Platz vier, und der Guide Michelin zeichnete ihn als ersten Koch Brasiliens mit zwei Sternen aus. Der Hype rund um die renommierten Rankings mag in den vergangenen Jahren zwar etwas nachgelassen haben. Und doch: Alex Atala ist heute auf der Höhe seines Schaffens – und hat noch viel vor, wie er uns verrät.
Es gibt weltweit wohl keinen einzigen Koch, der die Küche eines ganzen Landes dermaßen revolutioniert hat, wie Alex Atala. Noch dazu ist das Land, von dem hier die Rede ist, eines der größten der Welt: Brasilien ist über 23-mal so groß wie Deutschland und hat fast dreimal so viele Einwohner.
Als Alex Atala Ende der 1990er-Jahre sein D.O.M.-Restaurant in São Paulo eröffnete, ahnte niemand, was er von hier aus zustandebringen würde: Der bis dahin als „Arbeiteressen“ verpönten brasilianischen Küche verlieh er durch neue Zugänge internationale Strahlkraft. Er holte kleine Produzenten mit raren, oft vergessenen Produkten aus dem Amazonas vor den Vorhang – und machte Brasiliens Lebensmittelproduktion ein ganzes Stück nachhaltiger.
Die New York Times kürte ihn 2013 zu einer der 100 einflussreichsten Personen weltweit. Auf der World’s 50 Best-Liste fand sich sein Restaurant zu Spitzenzeiten auf Platz vier, und der Guide Michelin zeichnete ihn als ersten Koch Brasiliens mit zwei Sternen aus. Der Hype rund um die renommierten Rankings mag in den vergangenen Jahren zwar etwas nachgelassen haben. Und doch: Alex Atala ist heute auf der Höhe seines Schaffens – und hat noch viel vor, wie er uns verrät.
Es ist mittlerweile 25 Jahre her, dass du das D.O.M. eröffnet hast. Wie blickst du heute, nach all den Erfolgen, auf die Anfangszeit zurück?
Alex Atala: Es wäre untertrieben zu sagen, dass es schwierig war. Niemand, wirklich niemand glaubte mir, dass man mit brasilianischer Küche ein kulinarisch anspruchsvolles Restaurant auf die Beine stellen kann. Brasilien hatte damals zwei Dinge, auf die es stolz war: Musik und Fußball. Auf seine Küche aber war das Land nie stolz gewesen, auch wenn sie gut war. Nicht einmal die Brasilianer konnten meiner Idee einer selbstbewussten brasilianischen Küche etwas abgewinnen. Viele sagten: Brasilianisches Essen ist Arbeiteressen, das bekomme ich zu Hause gratis. Wenn ich ins Restaurant gehe, will ich etwas Besonderes. Französische Küche zum Beispiel, oder italienische.
Damals machten Musik und Fußball Brasiliens Stolz aus. Aber ganz sicher nicht die Küche!
Alex Atala zeigte Brasilien, was kulinarisch alles möglich ist
Und doch hast du es geschafft, in den folgenden 20 Jahren einem ganzen Land nicht nur eine kulinarische, sondern auch eine gastronomische Identität zu geben, auf die es nun unglaublich stolz ist. Wie ist dir das gelungen?
Atala: Der erste Schritt war, brasilianische Produkte, die den Brasilianern vertraut waren, kreativ zu verarbeiten. Das hat die ersten Gäste zumindest hier und da überrascht. Im zweiten Schritt ging es dann um neue Produkte, besser gesagt: um vergessene Produkte aus entlegenen Gegenden wie dem Amazonas.
Aber der Hauptfaktor dieses Erfolgs war etwas anderes: Zeit. Ich bin drangeblieben. Ich habe daran geglaubt. Bis heute vergleiche ich das, was das D.O.M. Restaurant geschafft hat, mit Brot.
Warum mit Brot?
Atala: Woraus besteht Brot? Aus Mehl und Wasser, mehr nicht. Doch das Wichtigste davon ist die Zeit. Brot muss gehen, damit es gut wird. Deswegen sage ich immer: Die Hauptzutat des Erfolgsrezepts des D.O.M. war die Zeit.
Eine Zeit, in der sich im gastronomischen Brasilien viel getan hat – vor allem, was die Rolle des Kochs betrifft. Du giltst in deiner Heimat als Nationalheld, bist eine weltweite Berühmtheit mit über eineinhalb Millionen Followern auf Social Media. Wie wird man als Koch zu einem solchen Role Model?
Atala: Dazu muss man sagen: Dass Köche plötzlich Personen von öffentlichem Interesse wurden, war ursprünglich ein weltweites Phänomen. Zusammen mit Ferran Adrià, René Redzepi, Massimo Bottura oder den Rocca-Brüdern hat meine Kochgeneration etwas Großes zustande gebracht: Wir haben die Rolle des Kochs in der Gesellschaft verändert.
Junge Menschen wollten plötzlich Koch werden, weil sie damit auch die Welt verbessern konnten.
Alex Atalas Koch-Generation blicke als erste über den Tellerrand der Küche – und inspirierte eine neue Generation engagierter Köche
Wir waren keine dicken, cholerischen Spießer in weißer Uniform mit schwarzem Schnurrbart, die nur in ihrer Küche herumbrüllen. Wir waren engagierte Jungspunde in T-Shirts, die über den Tellerrand schauten, die das Kochen als etwas Größeres, als etwas Gesellschaftsrelevantes verstanden. Das ist damals auch in Brasilien auf fruchtbaren Boden gefallen und hat dazu geführt, dass viele junge Menschen plötzlich Köche werden wollten. Nicht nur, um berühmt zu werden und das Leben eines Rock’n‘Roll-Stars zu leben. Sondern um die Welt besser zu machen.
Auch du wolltest mit dem D.O.M. die Welt besser -machen. Du hast von Anfang an damit einen politischen Auftrag verbunden: durch Lebensmittel die Biodiversität zu erhalten. Würdest du heute sagen, es ist dir gelungen?
Atala: Wir sind auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel. Der größte Verdienst des D.O.M. ist ohne Zweifel, dass wir Türen geöffnet haben. Vor allem für kleine Produzenten, die Lebensmittel anbauen, die fast schon verschwunden waren und einfach vergessen wurden.
Für mich als Koch ist das das Wichtigste: Mit Menschen zusammenzuarbeiten, die von ihren Lebensmitteln genauso begeistert sind wie ich. Und gute Lebensmittel gibt es nur dort, wo die Natur intakt ist, wo die Leute gesund und glücklich sind. Hier ist das Modell der großflächigen Lebensmittelproduktion Brasiliens ein riesiges Problem.
Nicht, weil sie etwa Tiere tötet. Das ist nicht der Grund. Sondern weil sie, vor allem im Amazonas, ganze Ökosysteme sterilisiert. Die Böden dort werden immer weniger fruchtbar und sind voller Pestizide. Was übrig bleibt, sind grüne Wüsten mit Sojabohnen, Getreide oder Reis. Keine Insekten mehr, keine Vögel, kein Leben, nichts ist dort, es ist seelenlos. Außerdem verursacht das auch soziale Probleme: Ureinwohner werden aus ihren Jahrtausende bewohnten Gebieten vertrieben, darunter auch kleine Lebensmittelproduzenten, die zum Beispiel jahrhundertealte Reissorten anpflanzen.
Im D.O.M. wollte ich von Anfang an zeigen, worin der Reichtum dieser kleinen Produzenten besteht – und was für ein wertvolles Gegenprogramm sie zu diesem großflächigen Produktionsmodell darstellen.
Trotzdem hast du im Jahr 2013 das ATA-Institut gegründet, das über Nachhaltigkeit und Biodiversität brasilianischer Lebensmittel aufklären soll. Warum? War dein Restaurant allein nicht in der Lage, deinen hehren Ansprüchen zu genügen?
Atala: So einfach ist das nicht. Ich habe ab einem bestimmten Zeitpunkt verstanden, dass es nicht nur um Sichtbarkeit geht, sondern um beinharte Gesetze.
Um ein Beispiel zu nennen: Wir haben in Brasilien über 300 Arten von Bienen, die Honig produzieren können. Aber wir als Restaurant durften diese Honigsorten in unserem Restaurant nicht anbieten. Warum? Weil der Honig flüssig ist und daher fermentiert. Der brasilianische Gesetzgeber kam vor Jahrzehnten zum Schluss, dass fermentierter Honig ein verdorbenes Produkt ist. Das ist natürlich falsch. Durch die Arbeit des Instituts haben wir den Gesetzgeber dazu gebracht, diese Gesetze zu revidieren. Jetzt dürfen wir brasilianischen Honig im Restaurant anbieten. Dasselbe passierte übrigens mit Käse aus unpasteurisierter Milch.
Ein anderes Beispiel: Noch vor 20 Jahren musste ich für den Transport von Produkten mehr bezahlen als für das Produkt selbst. Auch da haben wir durch das Institut gesetzliche Veränderungen herbeiführen können, damit dem Produzenten durch die gesunkenen Transportkosten mehr übrigbleibt. Und hier geht es nicht nur um mein Restaurant, sondern um alle Restaurants im ganzen Land.
Was ich damit sagen will: Das Institut ist eine Art verlängerter Arm des Restaurants, wenn es um die Erreichung der Ziele geht. Das bedeutet aber nicht, dass es das Restaurant nicht braucht, im Gegenteil!
Was auffällt: Der Anteil an lateinamerikanischen Restaurants in der World’s 50 Best-Liste ist über die Jahre stetig gestiegen. Dein D.O.M. war 2012 noch auf Platz 4, mittlerweile ist es nicht einmal mehr Teil der World’s 50 Best-Liste. Und das, obwohl du die zwei Sterne im Guide Michelin weiterhin hältst. Wie erklärst du dir das?
Atala: Für mich ist das kein Problem, und zwar aus einem einzigen Grund: Brasilien ist mittlerweile mit anderen Restaurants darin enthalten. All diese Listen und Awards sind wichtig, keine Frage. Weil sie gerade jungen Köchen große Möglichkeiten eröffnen können.
Was ich aber in meiner Karriere erlebt habe, ist, dass viele nur noch auf solche Listen und Awards schielen und irgendwann einmal den Fokus verlieren. Die Gefahr ist, dass viele diese Listen überschätzen – sich keine Gedanken mehr darüber machen, worum es ihnen im Grunde wirklich geht.
Mein Zugang ist: Die Werte, die man vertritt, haben Vorrang. Wenn eine Liste diese Werte anerkennt, gut. Wenn nicht, dann ist es so. Eine solche Liste lebt stark von Trends und dem Online-Verhalten, da braucht es eben auch immer etwas Neues. Der Guide Michelin hat da eine stabilere, bodenständigere Herangehensweise.
„Brasilien braucht keine neuen Alex Atalas, sondern neue Talente mit eigenen Geschmäckern!“
Nach 25 ereignisreichen und unglaublich erfolgreichen Jahren – wie blickst du in die Zukunft des gastro-nomischen Brasiliens?
Atala: In den letzten zehn Jahren haben lateinamerikanische Restaurants viel an Sichtbarkeit gewonnen. Davon hat auch Brasilien profitiert. Und trotzdem muss ich sagen: So richtig glücklich und zufrieden mit dem Status Brasiliens auf der internationalen Bühne der Gastronomie bin ich noch immer nicht. Weil ich finde, das Land hat nicht wirklich viel unternommen, um die brasilianische Küche zu fördern und zu promoten.
In Ländern wie Peru oder Argentinien gibt es von der Politik mehr Unterstützung, nicht nur für Köche, sondern für die gesamte regionale und vor allem kleinteilige Lebensmittelproduktion. Brasilien sollte da mehr tun.
Klingt so, als bräuchte es in Zukunft mehr Alex Atalas.
Atala: Nein, ja nicht! Brasilien braucht keine neuen Alex Atalas. Was Brasilien braucht, sind neue, junge Köche mit eigener Haltung, mit eigenen Geschmacksbildern. Es wäre nicht nur langweilig, sondern ein Albtraum, wenn Brasiliens Zukunft aus lauter Alex Atalas bestünde. Die nächste Generation muss genauso Dinge neu denken wie meine vor 20 Jahren.
Das Wichtigste ist: Seid authentisch! Nur so wird Brasiliens Gastronomie besser, bekannter, wichtiger. Ich selbst steuere meinen Teil dazu bei, indem ich mich voll und ganz weiterhin auf das D.O.M. und das ATA-Institut konzentriere. Auf das und auf nichts anderes. Das ist die Aufgabe meines Lebens. Darauf konzentriere ich mich bis zum Ende – und nur auf das.
Alex Atala
1968 in São Paulo geboren, zog es Alex Atala mit 18 Jahren nach Europa, wo er als Musiker und DJ durchstarten wollte. Doch er kam dort zum ersten Mal mit dem Kochen in Berührung – und machte eine Ausbildung im belgischen Namur. Nach Stationen in Frankreich und Italien kehrte er zurück nach São Paulo und eröffnete 1999 das D.O.M.-Restaurant. Es ist bis heute das international erfolgreichste Restaurant Brasiliens. Alex Atala selbst gilt als Gründer der modernen brasilianischen Gastronomie, die durch ihn einen internationalen Siegeszug erlebte.