Was Roland Trettl von Regionalität hält
Frei Schnauze
Es war der wohl spektakulärste Auftritt auf den diesjährigen CHEFDAYS. Kurz vor 15 Uhr näherte sich ein fast schon bedrohliches Brummen dem beschaulichen Städtchen Graz. Wer den Blick gen Himmel hob, traute seinen Augen nicht: Ein schwarzer Hubschrauber nahm unbeirrbar Kurs aufs Messegelände – und setzte mitten im Stadtgebiet plötzlich unerwartet steil zur Landung an. Kaum hatte der wendige Drehflügler sicheren Boden unter den Füßen, erschien unter den fast unsichtbar rotierenden Propellern plötzlich jener Mann, der nur wenige Minuten später auf der Mainstage sitzen und beim dicht gedrängten Publikum für jede Menge offene Kinnladen sorgen sollte: Roland Trettl.
Der Fernsehstar aus TV-Megaformaten wie „The Taste“ oder „Kitchen Impossible“ und einstige Hangar-7 Executive Chef sprach mit ROLLING PIN-CEO Jürgen Pichler Tacheles – über die großen Fragen der Gastronomie, aber auch ungewohnt offen über sich selbst. Dass man den gebürtigen Südtiroler heute vorwiegend aus TV-Shows kennt, darf über eines freilich nicht hinwegtäuschen: Dieser Mann gehört zu den ganz Großen der kochenden Zunft. Nach
Frei Schnauze
Es war der wohl spektakulärste Auftritt auf den diesjährigen CHEFDAYS. Kurz vor 15 Uhr näherte sich ein fast schon bedrohliches Brummen dem beschaulichen Städtchen Graz. Wer den Blick gen Himmel hob, traute seinen Augen nicht: Ein schwarzer Hubschrauber nahm unbeirrbar Kurs aufs Messegelände – und setzte mitten im Stadtgebiet plötzlich unerwartet steil zur Landung an. Kaum hatte der wendige Drehflügler sicheren Boden unter den Füßen, erschien unter den fast unsichtbar rotierenden Propellern plötzlich jener Mann, der nur wenige Minuten später auf der Mainstage sitzen und beim dicht gedrängten Publikum für jede Menge offene Kinnladen sorgen sollte: Roland Trettl.
Der Fernsehstar aus TV-Megaformaten wie „The Taste“ oder „Kitchen Impossible“ und einstige Hangar-7 Executive Chef sprach mit ROLLING PIN-CEO Jürgen Pichler Tacheles – über die großen Fragen der Gastronomie, aber auch ungewohnt offen über sich selbst. Dass man den gebürtigen Südtiroler heute vorwiegend aus TV-Shows kennt, darf über eines freilich nicht hinwegtäuschen: Dieser Mann gehört zu den ganz Großen der kochenden Zunft. Nach seiner Kochlehre mit 14 arbeitete Trettl an so renommierten Adressen wie Eckart Witzigmanns legendärer Aubergine in München, dann im Tantris, aber auch in Witzigmanns Restaurant Ca’s Puers auf Mallorca und schließlich von 2003 bis 2013 als Executive Chef im Restaurant Ikarus im Salzburger Hangar-7. Dennoch kann sich da wohl niemand die Frage verkneifen: Kann Roland Trettl heute noch kochen?
Jedes Fußballstadion, jedes Theater, jedes Kino macht das so – nur nicht die Gastronomie.
Für Roland Trettl gibt es nur eine Lösung gegen No-Shows: Tickets
Roland Trettl begann im zarten Alter von 14 Jahren eine Kochlehre in seiner südtiroler Heimat Bozen. Doch bald zog es den ambitionierten Koch hinaus aus der Provinz und hinauf in die höchsten gastronomischen Sphären: zuerst in die legendäre Aubergine von Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann in München, dann ins Tantris sowie in Witzigmanns Ca’s Puers auf Mallorca. Schließlich leitete Trettl von 2003 bis 2013 als Executive Chef das Restaurant Ikarus im Hangar-7. Seither ist der Allrounder als Autor tätig und in erfolgreichen TV-Formaten wie „The Taste“, „Kitchen Impossible“ oder „Grill den Profi“ zu sehen.
Kochen – und zwar ausschließlich!
„Ich habe 30 Jahre lang gekocht“, antwortet der Tausendsassa, „und ich vermute, dass man das einfach nicht verlernt. Vor allem, wenn man weiterhin daran interessiert ist – was ja fast von alleine passiert, denn wir essen ja mindestens drei Mal pro Tag. Ich würde sogar behaupten, dass ich heute besser koche als früher. Schlicht und ergreifend deswegen, weil ich es nicht machen muss. Und ich denke, Dinge, die man nicht machen muss, macht man einfach besser.“ Die Leidenschaft fürs Kochen ist Trettl also geblieben – bekommt er da nicht doch ab und zu Lust, wieder ins Restaurant-Business einzusteigen, ja womöglich selbst ein Restaurant zu eröffnen? Mit einem solchen Netzwerk und Bekanntheitsgrad könnte das ja ein durchaus erfolgreiches und rentables Unterfangen sein. „Wenn ich kochen will“, antwortet Trettl gesetzt, „dann will ich nur das machen.
Da möchte ich nicht, dass mir Steine wie Registrierkassenpflicht, HACCP und weiß der Teufel was in den Weg gelegt werden. Das ist auch der Grund, warum ich in europäischen Ländern kein Restaurant eröffnen möchte. Weil bis du zu dem kommst, was du wirklich machen willst, musst du dich um so viele Dinge kümmern – das will ich einfach nicht mehr.“ Kurz hält Trettl inne, bevor er seine Aussage zumindest ein Stück weit relativiert.
„Wenn man mir verspricht, dass ich für mein Restaurant nur Mitarbeiter bekomme, die jetzt hier im Publikum sitzen, dann sage ich Ja. Aber das hier ist ja nicht die Realität. Wie viele sind es, die da sitzen – 0,1 Prozent der Gastronomie? Wo ist der Rest?“ Dass in diesem Moment betretenes Schweigen herrschte, muss nicht extra erwähnt werden. Doch für das Publikum war von da an unmissverständlich klar: Trettl war in Fahrt. Und der raustimmige Sympathieträger war alles andere als auf Kuschelkurs. „Ich habe gestern den Livestream verfolgt“, ätzte Trettl schon fast, „und Heinz Reitbauer, den ich wirklich über alle Maßen schätze, meinte hier auf der Bühne, wie toll die Gastronomie in Österreich ist und dass es so super ist, wie wir alle zusammenhalten. Aber das ist Bullshit!»
Auf der Mainstage der CHEFDAYS Austria 2019 streute Roland Trettl im Gespräch mit Jürgen Pichler immer wieder Salz in die blutigsten Wunden der Gastronomie – und hatte gleichzeitig handfeste und innovative Lösungsvorschläge in petto, um diese Wunden zu heilen.
No-Shows: Verkauft Tickets!
Was Trettl damit meint, zieht sich wie ein roter Faden durch all seine Ansichten, Analysen und Vorschläge, die er zur aktuellen Lage der Gastronomie in dieser halben Stunde auf der CHEFDAYS-Bühne zum Besten gab. Denn was der TV-Star am meisten beklagt, ist der fehlende Zusammenhalt unter den Gastronomen. „Wir müssen alle viel, viel mehr zusammenhalten. Und zwar nicht mit blumigen Worten, sondern auch mit konkreten Maßnahmen. Vor Kurzem wurde ich einmal mehr gefragt, was ich von No-Shows halte. Das habe ich schon vor fünf Jahren in meinem Buch ‚Serviert‘ geschrieben und es ist ganz einfach: Verkauft Tickets! In Amerika ist das seit Jahrzehnten üblich! Und auch hier macht das jedes Fußballstadion, jedes Theater, jedes Kino so – nur nicht die Gastronomie. Aber dieses Problem lässt sich nun einmal nur lösen, wenn alle zusammenhalten.
Denn wenn alle Tickets verkaufen, tja, dann geht’s halt nicht anders. Und bei einer Gebühr von, sagen wir, 20 Euro, überlegt man es sich zwei Mal, ob man jetzt drei Tische in drei verschiedenen Restaurants für einen Abend reserviert.“ Trettl geht es dabei aber nicht nur um den Zusammenhalt. Denn dieser kommt erst zustande, wenn die Gastronomen auch ausreichendes Selbstvertrauen haben. „Der Gastronom“, bläut Trettl dem Publikum ein, das an seinen Lippen hängt, „muss einfach nur erkennen, dass er total mächtig ist. Der Gast ist König, aber er befindet sich in eurem Schloss, das Sagen habt ihr!»
Die unterschätzte Macht der Gastronomen
Die Komplexität am vielschichtigen Unterfangen Gastronomie besteht bekanntermaßen nicht zuletzt darin, dass auch die kleinsten betriebswirtschaftlichen Fäden immer irgendwo zusammenlaufen. Kurz gesagt: In diesem Business hängt alles miteinander zusammen. Auch die leidige No-Show-Thematik macht das deutlich. Denn wer Gäste hat, die tatsächlich aufkreuzen oder dafür bezahlen, dass sie es eben nicht tun, der hat Einnahmen. Wer Einnahmen hat, der kann gut bezahlen. Und wer wiederum gut bezahlt, der hat das seltene Privileg, nicht unter dem Damoklesschwert des Fachkräftemangels zittern zu müssen. So weit, so logisch. Nur: Einnahmen von anwesenden Gästen werden durch einen angemessenen Preis für die Menüs und Gerichte erzielt.
Der Gastronom muss erkennen, dass er total mächtig ist. Der Gast ist König, aber er befindet sich in eurem Schloss, das Sagen habt ihr!
Für Roland Trettl entfaltet sich die Macht der Gastronomen erst dann, wenn alle mit Taten zusammenhalten
Und diese sind laut Trettl schlicht und ergreifend zu billig. „Mich schreckt das zum Teil ja ab“, sagt er kopfschüttelnd und erklärt: „Es gibt zwei Gründe, warum die Preise zu niedrig sind. Entweder ist der Gastronom nicht imstande, zu kalkulieren, oder die Qualität der Lebensmittel reicht einfach nicht dafür aus, dass ich sie essen möchte. Aber im Grunde genommen ist es ganz gleich, ob es jetzt um das Wirtshaus von nebenan geht oder ums Steirereck – es sind alle viel zu billig.“
Aus seiner Forderung macht Trettl somit auch gar keinen Hehl: „Man muss um 20 Prozent mit den Preisen herauffahren. Aber auch da gilt: Es müssen alle machen und zusammenhalten. Wenn nur drei das machen, dann sagen die Leute: ‚Gut, dann gehe ich eben dorthin, wo es billiger ist.‘“ Trettls Logik könnte bestechender nicht sein, denn schließlich fußt sie auf einem unverrückbaren Prinzip, das offenbar viel zu viele Gastronomen regelmäßig aus den Augen verlieren: „Wir dürfen eines nie vergessen: Die Gäste werden immer essen gehen. Sie werden immer ihre Restaurants suchen. Und das werden sie auch tun, wenn die Preise um 20 Prozent höher sind.“
Die alte Leier der Regionalität
Wenn wir schon beim Thema Zukunft sind: Wer könnte eine fundiertere Meinung über die kommenden gastronomischen Trends abgeben als dieser viel gereiste kulinarische Allrounder, der auch die nötige Distanz zur Branche hat? ROLLING PIN-CEO Jürgen Pichler war gerade dabei, die Frage zu stellen – und wurde beim Stichwort „Regionalität“ jäh von Trettl unterbrochen. Genauer gesagt war es ein halb aggressives, halb resigniertes Seufzen, das vom strengen Ex-„The-Taste“-Juror ausging. „Ach, dieses Thema Regionalität. Es langweilt mich so brutal.“ Worte, die Trettl einen der wohl lautesten Applause des Tages bescherte.
Die Erklärung war simpel: „Es ist doch komplett irre“, so Trettl, „dass man sich so über ein Thema unterhält, ohne das wir Millionen von Jahren niemals überlebt hätten. Und jetzt soll das plötzlich ein Trend sein? Offenbar geht so manchem Gastronomen der Witz aus.“ Mit dem unbestechlichen Blick eines Profis deckt Trettl dabei auch die Widersprüchlichkeiten und Absurditäten des Hardcore-Regionalismus auf: „Da heftet man sich Dinge wie 60 Kilometer Radius auf die Fahnen, und dann betrittst du das Restaurant, siehst als Erstes das San-Pellegrino-Wasser und sagst: ‚Leck mich doch am Arsch!‘“
Apropos Arsch: Zum Schluss nutzte Roland Trettl die Gelegenheit für eine Umfrage beim Publikum. Dabei ging es weder um Trends noch um No-Shows oder Preisgestaltung, sondern um sein bald erscheinendes Buch mit dem augenzwinkernden Titel „Nachschlag“. Zwei Covers standen zur Auswahl: Auf dem einen sitzt der Alleskönner, im streberhaften Stil der 1950er-Jahre gekleidet, auf einem ebenso biederen Sofa, und wartet mit einem ausgestreckten Teller auf den Nachschlag. Auf der zweiten Variante sitzt Trettl auf dem Klo und macht „das, was jeder Mensch täglich tun sollte, wenn er möchte, dass es ihm gut geht“. Der Applauspegel hatte einen eindeutigen Favoriten. Welchen, das kann sich jetzt wohl jeder selbst ausmalen. Schließlich geht es um Roland Trettl.
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