Grant Achatz: Radikal bis es brennt

Grant Achatz fackelt nicht lange, sondern befeuert die Welt in seinem Restaurant Alinea mit einer noch nie da gewesenen Art des Fine-Dine.
April 27, 2016 | Text: Nina Wessely | Fotos: Monika Reiter, Matthew Gilson

Ein unaufhörliches Lernen

Genies unterstellt man Mühelosigkeit und einen Dauer-Lap-Dance mit einer der Musen. Grant Achatz etwa ist so ein Genie. Einer, dem alles im Leben zufliegt und der quasi einen Stammplatz im Freudenhaus der Ideen und Inspirationen für sich proklamieren kann. Auch seine offene und entspannte Art verleitet dazu, so zu denken. Neue Konzepte, neue Restaurants, Fine-Dining, das auch noch einen kolportierten Millionen-Gewinn abwirft, wie Achatz 2010 selbst verlautbart hat.

Erschafft mal so eine Gastronomie, die Gewohntes mit einer unumstößlichen Überzeugung aus den Angeln hebt. Das passiert Mr. Achatz, weil die Natur ihn mit einer außergewöhnlich großen Portion Kreativität gesegnet hat? Sicher nicht. Denn das stellt der Amerikaner gleich zu Beginn des Gesprächs fest: „Kreativität ist das Resultat von harter Arbeit und unaufhörlichem Lernen.“

 

Ein unaufhörliches Lernen

Genies unterstellt man Mühelosigkeit und einen Dauer-Lap-Dance mit einer der Musen. Grant Achatz etwa ist so ein Genie. Einer, dem alles im Leben zufliegt und der quasi einen Stammplatz im Freudenhaus der Ideen und Inspirationen für sich proklamieren kann. Auch seine offene und entspannte Art verleitet dazu, so zu denken. Neue Konzepte, neue Restaurants, Fine-Dining, das auch noch einen kolportierten Millionen-Gewinn abwirft, wie Achatz 2010 selbst verlautbart hat.

Erschafft mal so eine Gastronomie, die Gewohntes mit einer unumstößlichen Überzeugung aus den Angeln hebt. Das passiert Mr. Achatz, weil die Natur ihn mit einer außergewöhnlich großen Portion Kreativität gesegnet hat? Sicher nicht. Denn das stellt der Amerikaner gleich zu Beginn des Gesprächs fest: „Kreativität ist das Resultat von harter Arbeit und unaufhörlichem Lernen.“

Ein Lernen und Erleben, das ihn seit seiner Zeit am Culinary Institute of America über Stationen bei Charlie Trotter, seinen Mentor Thomas Keller in der French Laundry und über eine Stage bei Ferran Adrià im damaligen elBulli 2004 bis zu Alinea gebracht hat, das er gemeinsam mit einem Stammgast in Chicago eröffnete. Nick Kokonas.

„Heute sind wir wie Brüder. Er sagte mir damals immer wieder bei seinen Besuchen: ‚Wenn du einmal dein eigenes Ding machen willst, sag mir, wie ich dir helfen kann.‘ Lange habe ich das ignoriert. Und dann einmal nicht mehr“, lacht der Grantmaster über die Geburt seines Babys Alinea.

Grant Achatz

Kreativität ist das Resultat von harter Arbeit und unaufhörlichem Lernen.
Grant Achatz über Dinge, die man erst verstehen muss

Grant Achatz’ Blick ist wach. Sehr wach. Und das, obwohl er sich gerade an seinem ersten freien Tag seit Wochen eine Diskussion mit seinem Freund und Kollegen Daniel Humm aus dem Eleven Madison in New York über die Zukunft der Avantgarde auf der Bühne der Madrid Fusión 2016 geliefert hat. Was man nicht so alles macht, an seinem day off. Die wichtigste Botschaft der beiden: Endlich darf man auch authentisch kochen. 3-Sterne-Koch Humm: „Früher dachte ich, ich brauche diese französischen Teller – dann bin ich ein Top-Restaurant. Und diese Produkte – dann bin ich ein Top-Restaurant.“

Heute geht es um Authentizität, jeder darf und soll so kochen, wie er möchte. Achatz: „Mich hat das immer sehr gestört, das In-Schubladen-Stecken. ‚Du kochst wie Blumenthal und Adrià, der wie René Redzepi und so weiter.‘ Wie schön, dass das jetzt vorbei ist.“ Heute würde man ein Restaurant mit Nordic Cuisine in New York als unsinnig abtun. Noch vor Kurzem sei das nicht so gewesen, so der Ausnahmekoch. Und in drei Jahren wird wieder alles anders sein, ist sich Gran Achatz sicher.

„Wie Menschen essen wollen, ändert sich wahnsinnig schnell“, so der Ideenentbrannte mit rotem Haar, dem die Freude, bei diesen Bewegungen mitzumischen, in den Augen flackert. Und zwar auf seine ganz individuelle Art. „Meine Küche ist emotional. Ein Stück von mir“, sagt Achatz, der dabei wirkt, als hätte er keine Ahnung, wie groß er ist. Wie richtungsweisend.

Inspiration und Kopie

Eigenständigkeit also – wobei sich auch ein Grant Achatz zu Beginn seiner Kochkarriere Inspiration bei Kollegen geholt hat und es auch heute noch tut. „Der Austausch mit Kollegen und Familie, aber auch mit meinem Geschäftspartner Nick ist extrem wichtig für mich.“ Nur irgendwann komme man eben an den Punkt, an dem man seine eigene Stimme hört und auch selbstbewusst genug ist, um zu sagen: „So machen wir es.“

Das hat Grant Achatz inzwischen schon oft gesagt: 2004 im Alinea, 2012 mit dem Next, einem Restaurant mit einem weltweit einzigartigen Ticketsystem nach der Regel „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“, und seit wenigen Wochen auch im Roister, einer legeren Antithese zu Alinea: À-la-carte-Küche statt Menü, laute Musik und eng zusammenstehende Tische anstatt einer unterhaltsamen, aber dennoch ernsthafteren Fine-Dining-Erfahrung. Dabei stellt der in Michigan aufgewachsene Achatz klar:

Schmecken muss es immer. Man kann noch so kreativ sein, wenn es nicht schmeckt, hast du versagt.
Grant Achatz über leistungsorientiertes Denken

Das sind also die kreativen Spielwiesen von Achatz: Alinea, Next, Roister und die Cocktailbar Aviary. Einmal abgesehen von den Pop-up-Restaurants in Madrid und dem darauf folgenden in Miami sowie der noch nicht trockenen Unterschrift von Kokonas und Achatz auf dem Übernahmevertrag von Homaro Cantus ehemaligem Lokal in Chicago. „Was wir damit machen werden, wissen wir noch nicht“, spricht’s. Die Mimik verrät dabei wenig, aber doch, dass für das neue Projekt nicht nur eine, sondern gleich eine ganze Welle an Konzeptideen abgewogen und getestet wird.

Ganz von dieser Welt scheint er wirklich nicht zu sein, dieser Mr. Grant Achatz mit dem intelligenten Blick. Und gleichzeitig weiß er genau, wie man sich in der für die meisten realen Welt bewegt. Das Gegenüber ist sofort durchschaut. Umgekehrt ist es selten so. Eine Überlegenheit, die der Ausnahmekoch niemals ausspielen würde. Vielmehr strahlt er ein Vertrauen und eine Ruhe aus, die hochansteckend wirkt. Das haben die wirklich Großen so an sich – sie wollen auch andere wachsen sehen. Bedrohung oder Angst vor dem Erfolg des anderen? Niemals. Vielmehr Zusammenarbeit, sich gegenseitig mit Ideen zu füttern, um Gerichte dann wieder jeder für sich zu interpretieren.

Extraterrestrisches Multitasking

Vielleicht denkt er ja darüber nach, während er ein souveränes Interview abliefert. Das Ideenwerk bei Achatz rattert, das kann man sehen. Aber was entsteht gerade im Kopf des Chicagoer Ehrenbürgers, während er mit seiner rauchigen Stimme ein Zitat nach dem anderen raushaut? Eine fortgeschrittene Version des fliegenden Luftballons vielleicht? Nein. Denn ein Nächstes gibt es im Alinea nicht. Next ist next. Nicht Version 2.0. Und das sowohl im Alinea wie auch im Restaurant Next und der Cocktailbar der beiden, Aviary. Daher ist es auch kein Alinea 2.0., das gerade hinter verdeckten Fenstern entsteht.

Sondern ein komplett neues. „Gerade ist Alinea ein Skelett. Eigentlich existiert es im Moment nicht. Wir haben 2004 eröffnet. Mehr als zehn Jahre lang haben wir Gerichte getauscht und Menüs zusammengestellt. Dann haben wir uns gefragt, wie können wir den Spirit der ständigen Erneuerung, den wir uns auferlegt haben, noch verkörpern? Und haben begonnen, das Alinea komplett auszuhöhlen.

Meine Küche ist emotional. Sie ist ein Stück von mir.
Grant Achatz über die Identifikation seiner Gerichte

“Zu einem Zeitpunkt, als das Restaurant so erfolgreich lief wie noch nie zuvor. Mit rund hundert Gästen jeden Abend. Die von Grant Achatz kolportierte eine Million Dollar Gewinn wohl um ein Vielfaches übertreffend. Ganz schön mutig. „Oder auch verrückt“, lacht Achatz. Aber das war nun etwas, was der 42-Jährige tun musste. Wie so vieles. Details werden keine verraten zum Umbau.

Wenn man aber davon ausgeht, dass das Pop-up-Alinea in Madrid, in dem Interview wie auch Fotoshooting stattfanden, innerhalb von wenigen Wochen von einem mehr als normalen Hotelfrühstücksraum zu einer eigenen Welt umgestaltet wurde, in der sich Schlangen an den Wänden und der Decke rekeln und 3-Sterne-Küche auf nur drei Induktionsplatten entsteht, dann darf man sich von der Reinkarnation des Alinea schon etwas erwarten. Viel. Und bestimmt zum Teil noch nie Dagewesenes.

Mit sich allein im Kopf

Doch während die Hüllen für die gespannte Weltöffentlichkeit fallen, hört Grant Achatz Heavy Metal. Das entspannt ihn. „Es ist schon ein sehr schräges Gefühl, hier in Madrid zu sitzen, während Alinea in Chicago ganz neu entsteht.“ Heavy Metal zur Entspannung also, um die vielen Projekte und Ideen in Grant Achatz’ Kopf zu sortieren. „Manchmal muss ich einfach abschalten. In meinem eigenen Kopf sein. Nur mit mir.“

Denn auch wenn man kreativen Leuten manchmal ein gewisses Chaotendasein unterstellen würde, Grant Achatz ist alles andere als das. Akkurat, exakt und wohlüberlegt sind seine Schritte, wie seine Gerichte von der „Black Truffle Explosion“ bis zur „Hot Potato, Cold Potato“. Wenn Heavy Metal doch bei allen so gut wirken würde.

Seine Sicherheit und seine Kontinuität sowohl in kulinarischer wie auch in unternehmerischer Hinsicht haben ihm reihenweise Auszeichnungen beschert: Drei Michelin-Sterne für das Alinea, Auszeichnung mit dem Award der James Beard Foundation, was in den USA einem Ritterschlag gleicht, und Platz 26 der S.Pellegrino-50-Best-Liste. Nummer eins in den USA. Und trotzdem: Abheben ist beim 42-jährigen Grant Achatz nur bei manchen Gerichten angesagt.

So wie beim bekannten heliumgefüllten, essbaren Luftballon, der 2012 gemeinsam mit Küchenchef Mike Bagale aufstieg. Eigenständig sein, authentisch. So kochen, wie man es selbst gerne möchte. Das sind die Dinge, die Chef Achatz in seinen Restaurants praktiziert. Und die auch von den Gästen gewünscht werden. Achatz: „Wir wollen, dass unsere Gäste fühlen, sie auch überraschen. Und wir wollen, dass sie lachen.

Grant Achatz

Wir wollen, dass unsere Gäste fühlen. Vielleicht wollen wir sie auch überraschen. Und wir wollen, dass sie lachen.
Grant Achatz über sein gastronomisches Prinzip

“Drei Wünsche, für deren Erfüllung Grant Achatz die Grenzen der Kreativität auslotet. Kreative Adern, die, wie sollte es anders sein, während einer Stage bei Ferran Adrià im elBulli im katalanischen Roses aufgeplatzt sind. Die kulinarische Welt aus den Angeln heben. Das ist es, was der Großmeister heute tonangebende Köche von Andoni Luis Aduriz bis Joan Roca gelehrt hat.

Und auch Grant Achatz, den bis heute eine tiefe Freundschaft und Sympathie mit seinen Kollegen von damals verbindet. Denn auch wenn er kein Spanisch spricht. Der Ideenaustausch läuft sowieso am Teller ab und so kam es auch, dass Grant Achatz 2015 bei der Hommage an Ferran Adrià bei 2-Sterne-Koch Dani García in Marbella mit Hand anlegte. Und brennenden Thunfisch servierte. Der Begeisterung und keine verbrannten Zungen hinterließ.

Verbrannte Erde – Phönix aus der Asche

Dabei spielt die Zunge in Grant Achatz’ Leben eine ganz besondere Rolle: 2007 wurde bei Achatz Zungenkrebs diagnostiziert. Fortgeschrittener. Auch hier zeigte er übermenschliches Durchhaltevermögen. Fand Experten und zeigte Lebenswillen, sodass er bis 2009 komplett geheilt war, wenn auch sein Geschmackssinn deutlich bis zum fastigen Verlust gelitten hat. Entgegen der Diagnose: „Sie haben noch zwei Jahre.“

Auch danach biss sich der Grantmaster sicher nicht auf die Zunge, sondern gab mit seinem Geschäftspartner Nick Kokonas ein lesenswertes Buch heraus. Über diese schweren Zeiten. Ein Buch, das anderen Mut machen soll. Also zu der begierigen Muse auch noch Fortuna zum Drüberstreuen für den kulinarischen Tonangeber. Auch wenn er es eher unter die Rubrik „Das Glück des Tüchtigen“ reihen würde.

Bei der Frage, was Glück für ihn bedeutet, stoppt er ganz kurz und lacht: „Na ja, wenn dir schon einmal jemand gesagt hat, dass du sterben wirst, fühlst du dich eigentlich immer glücklich, wenn derjenige unrecht hatte.“
www.alinearestaurant.com

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