Ein Mann mit Profil
Foto: Wolfgang Hummer
Martin Sieberer, 44 Jahre, drei Hauben, 17 Gault-Millau-Punkte und bis zum Rückzug des elitären Restaurantführers aus Österreich – Salzburg und Wien ausgenommen – mit einem Michelin-Stern bedacht, nippt an einem Glas Rotwein und lächelt entspannt. Es ist 22 Uhr, draußen tobt die Party-Crowd von Ischgl, aber in der Lobby des Trofana Royal herrscht feudale Ruhe. „Wenn man hier die Türe hinter sich ins Schloss fallen lässt, ist man eben einfach in einer anderen Welt gelandet“, sagt er dann. „Und das ist auch gut so.“
Eine kleine Pause von brüllenden Porsches und brüllenden Menschen ist in der angesagten Alpen-Partymetropole jedenfalls gut. Das, was Martin Sieberer seit 15 Jahren im Gourmetrestaurant Paznauner Stube kulinarisch abliefert, ist…
Foto: Wolfgang Hummer
Martin Sieberer, 44 Jahre, drei Hauben, 17 Gault-Millau-Punkte und bis zum Rückzug des elitären Restaurantführers aus Österreich – Salzburg und Wien ausgenommen – mit einem Michelin-Stern bedacht, nippt an einem Glas Rotwein und lächelt entspannt. Es ist 22 Uhr, draußen tobt die Party-Crowd von Ischgl, aber in der Lobby des Trofana Royal herrscht feudale Ruhe. „Wenn man hier die Türe hinter sich ins Schloss fallen lässt, ist man eben einfach in einer anderen Welt gelandet“, sagt er dann. „Und das ist auch gut so.“
Eine kleine Pause von brüllenden Porsches und brüllenden Menschen ist in der angesagten Alpen-Partymetropole jedenfalls gut. Das, was Martin Sieberer seit 15 Jahren im Gourmetrestaurant Paznauner Stube kulinarisch abliefert, ist von gut aber weit entfernt. Sensationell trifft es eher. Denn dass ein Küchenchef einem Betrieb so lange treu bleibt und dabei ein dermaßen hohes Qualitätslevel hält, ist doch eher die Ausnahme als die Regel. Schon vor seinem Amtsantritt in der Paznauner Stube 1996 erkochte Sieberer mit nur 23 Jahren innerhalb eines Jahres für das Hotel Tennnerhof zwei Hauben und 16 Gault-Millau-Punkte. Aber seit seinem Wechsel ins Trofana Royal schlagen ihn die Kritiker mit beinahe schon beängstigender Regelmäßigkeit Jahr für Jahr zum Fine-Dining-Ritter. Dabei hatte der gebürtige Tiroler anfangs so seine Zweifel, ob ein Restaurant wie die Paznauner Stube – noch dazu in einem Wintersportort – funktionieren würde. „Damals hat es hier nichts Vergleichbares gegeben, aber ich habe das auch als Herausforderung gesehen. Es war die Chance, etwas ganz Eigenständiges zu schaffen.“
Eigenständig ist seine Küchenlinie zweifelsohne, von den Avantgarde- und Molekular-Trends der letzten Jahre hat er sich nicht aus dem Konzept bringen lassen. „Die avantgardistische Küche hat Techniken wie etwa das Niedrigtemperaturgaren salonfähig gemacht. Das finde ich gut, trotzdem muss man immer im Auge behalten, für wen man kocht. Ich koche nicht für einen bestimmten Gast oder einen Kritiker, sondern für das Gros meiner Gäste“, erklärt Sieberer. Und die können von seinen Kreationen gar nicht genug bekommen. Gekonnt verpasst der Tiroler Kitchen-Tausendsassa regionalen Spezialitäten einen raffinierten internationalen Touch. Am liebsten arbeitet er mit dem, was rund um Ischgl auf den Weiden steht, liegt oder grast. Das Paznauner Schafl hat er so zum kulinarischen Aushängeschild des Restaurants gemacht, und auf Hochlandrind, Milchkalb oder Rehkitz würde er nie verzichten. „Und zwar genauso wenig wie auf Gänseleber oder bretonischen Steinbutt“, setzt er nach.
Bei exklusiven Menüs liegt Sieberers Wareneinsatz bei rund einem Drittel, „bei den Hausgästen ist er in der Regel ein wenig geringer, aber die Mischung aus Hausgast und externen Restaurantgästen sorgt dafür, dass die Rechnung am Ende des Tages stimmt.“ Im Winter hat Sieberer ohnehin kein Problem, die zwölf Tische der Paznaunerstube vollzubekommen. In den Zwischensaisonen sei das schon schwieriger, erklärt er, aber das sei eben Teil des Geschäfts. Und auch, dass er sich aufgrund des Rückzugs von Guide Michelin aus Österreich seinen Stern nicht mehr an die Brust heften darf, nimmt er gelassen: „Für mich hat sich diese Entscheidung nicht aufs Geschäft ausgewirkt. Aber für Österreich ist es ein großer Verlust, weil die Spitzengastronomie hier die wichtigste internationale Plattform überhaupt verloren hat.“ Bei der letzten Frage des Abends – jener nach seinen Zukunftsplänen – spürt man wieder diese beneidenswerte Ruhe, die Martin Sieberer ausstrahlt. „Ach, momentan ist alles perfekt“, sagt er. „Aber man weiß nie, wohin der Weg noch führt. Ich weiß nur, wohin mich der nächste Weg führen wird: nach Hause ins Bett!“ So schön unaufgeregt kann ein Koch-Superstar-Leben sein.