Der AH Effekt
Fotos: Werner Krug
Es ist elf Uhr Vormittag, in der Küche des Restaurants Alexander Herrmann im fränkischen Wirsberg herrscht geschäftiges Treiben, mittendrin der Meister selbst. Herrmann ist ein viel beschäftiger Mann, Sternekoch und Medienstar, gerade tourt er mit seiner Koch-Live-Show durch Deutschland. Er schläft wenig und ist viel unterwegs, trotzdem ist er auch an diesem Tag konzentriert, professionell, ruhig und bestimmt, immer für einen kleinen Scherz zwischendurch aufgelegt. Typ Schwiegermutterliebling, einer, den man schnell mal in eine Schublade stecken möchte. Weil man sein Gesicht aus dem Fernsehen kennt und glaubt, alles über ihn zu wissen.
«Das grösste Problem der Sternegastronomie ist, dass viele Gäste sie nicht mehr verstehen. Sie ist zu abgehoben.»
Alexander Herrmann über Realitätsverlust in der Sternegastronomie
Doch dann, während er gemeinsam mit seinem Küchenchef Tobias Bätz den „fränkischen Schiefertrüffel“ gerade ins rechte Licht rückt, hält er plötzlich…
Fotos: Werner Krug
Es ist elf Uhr Vormittag, in der Küche des Restaurants Alexander Herrmann im fränkischen Wirsberg herrscht geschäftiges Treiben, mittendrin der Meister selbst. Herrmann ist ein viel beschäftiger Mann, Sternekoch und Medienstar, gerade tourt er mit seiner Koch-Live-Show durch Deutschland. Er schläft wenig und ist viel unterwegs, trotzdem ist er auch an diesem Tag konzentriert, professionell, ruhig und bestimmt, immer für einen kleinen Scherz zwischendurch aufgelegt. Typ Schwiegermutterliebling, einer, den man schnell mal in eine Schublade stecken möchte. Weil man sein Gesicht aus dem Fernsehen kennt und glaubt, alles über ihn zu wissen.
«Das grösste Problem der Sternegastronomie ist, dass viele Gäste sie nicht mehr verstehen. Sie ist zu abgehoben.»
Alexander Herrmann über Realitätsverlust in der Sternegastronomie
Doch dann, während er gemeinsam mit seinem Küchenchef Tobias Bätz den „fränkischen Schiefertrüffel“ gerade ins rechte Licht rückt, hält er plötzlich inne und sagt Sätze wie diesen: „Viele Sterneköche beschweren sich, dass ihre Restaurants halb leer sind. Aber das ist doch nur die logische Konsequenz aus der Tatsache, dass die Gäste zusehends geschmacklich überfordert werden. Man macht es ihnen immer schwerer, einen Zugang zu den Gerichten zu finden.“ Oder diesen: „Wenn Kollegen über TV-Köche schimpfen wollen, dann sollen sie. Aber der gemeine TV-Koch hat noch nie einem Kollegen geschadet, das Gegenteil ist der Fall. Dermaßen sensibilisierte Gäste und so ein gutes Image hat dieser Berufsstand seit langer Zeit nicht mehr gehabt.“ Spätestens ab diesem Zeitpunkt wird klar, dass alles, was man glaubte, über A.H. zu wissen, eben nur eines ist, nämlich eine Vermutung. Und vermuten bedeutet nicht wissen.
Der einzig angemessene Zustand …
… ist die Überraschung. Alexander Herrmann hat reichlich davon auf Lager. Das fängt schon beim seit 2008 mit einem Michelin-Stern dekorierten und aktuell mit 16 Gault-Millau-Punkten bewerteten Restaurant Alexander Herrmann an. Im altehrwürdigen und seit jeher in Familienbesitz befindlichen Posthotel am Wirsberger Ortsplatz untergebracht, lässt das gediegen-traditionelle Äußere des Hauses nicht zwingend den Schluss zu, dass im Gourmetrestaurant in puncto Interieur die Moderne Einzug gehalten hat. Abstrakte Kunst an den Wänden, gewagte Lampeninstallationen. Nur die alte hölzerne Kassettendecke sorgt noch für einen Hauch von ländlichem Idyll.
Herrmann ist in diesem Haus aufgewachsen, mit nur 26 Jahren hat er hier das kulinarische Ruder übernommen. Natürlich hätte er damals noch weitere Jahre durch die Welt tingeln können, um noch mehr Erfahrungen zu sammeln, sagt er. „Aber die Erfahrungen in der Selbstständigkeit sind jedenfalls nachhaltiger, vor allem hier. Es ist nicht einfach, mitten in der fränkischen Provinz ein Sternerestaurant zu etablieren. Aber in den Städten ist der Konkurrenzdruck auch höher. Am Land muss man die Gäste zwar erst einmal zu sich holen, aber dafür ist man eben schneller der Platzhirsch.“
Dass viele Gäste einen weiten Weg auf sich nehmen, um bei ihm zu essen, sieht er als Kompliment und als Ansporn, auch in Zukunft seiner Konzept-Küche treu zu bleiben, deren oberstes Gebot lautet: Gib dem Gast die Möglichkeit, sich auf einzelne Komponenten zu konzentrieren, und sorge für eine dramaturgisch perfekt aufgebaute Menüfolge. „Nur“ zwei große Themen dominieren seine Karte – Regionalität und Sensorik. „Bei Gerichten aus der regionalen Menüfolge stehen typische Aromen und Produkte der Region im Vordergrund, für Kontraste sorgen etwa unterschiedliche Texturen. Beim Sensorik-Menü hat jeder Gang einen anderen, eindeutigen Fokus. Das kann ein Einzelgewürz sein, ein bestimmtes Produkt oder eine Kräutermischung“, erklärt Herrmann sein sternegekröntes Küchenkonzept.
Kitchen Logic à la Herrmann
Herrmann spart nicht mit Kritik an der Sterneküche und legt in einer ziemlich verschwiegenen Welt eine erfrischende Offenheit an den Tag. „Es ist doch so: Wenn ich Leuten, die fünf Stunden lang im Auto gesessen haben, eine austauschbare Küche serviere, dann kommen die sich doch veräppelt vor. Ich muss für meine Gäste ein nachhaltiges Erlebnis schaffen. Wenn ich vor dem Hauptgang sechs Zwischengerichte serviere, von denen jedes einzelne bereits ein absolutes Aromen-Feuerwerk ist, dann wird es schnell langweilig, weil kein Spannungsbogen aufgebaut wird.“ Letztens erst wäre er in New York in einem Restaurant gewesen, gutes Essen, ja, aber nicht der Knaller. Zu Hause hätte er erfahren, dass er im zehntbesten Lokal der Welt diniert hatte, „und ich habe nichts davon bemerkt. Andererseits war ich letzte Woche im Wiener Steirereck und kann nur sagen: Das war der absolute Hammer, wirklich einzigartig.“
Rampenlicht und andere Schattenseiten
Einer, der gerne mal austeilt und ausspricht, was andere sich nur denken, muss auch einstecken können, das weiß Herrmann. Er kriegt schon mal Zusehermails, die inhaltlich an Körperverletzung grenzen. Und wenn man, so wie er, in einem Interview mit Der Welt gegen Industrie-Gewürzmischungen wettert und dann für Suppenbouillon wirbt, macht das keinen schlanken Fuß. Aber Herrmann steht zur leicht versalzenen Medienbrühe. „Wie viele Menschen stellen sich heute denn noch zwei Stunden hinter den Herd für eine Brühe, die sie für ein 20-Minuten-Gericht benötigen. Das Produkt war gut, es wurde damals seit Jahren in der Sternegastronomie verwendet. Der Hersteller hat all das allerdings nie durchscheinen lassen, leider.“ Viele Firmen klopfen bei ihm an, Pizzahersteller und Fast-Food-Ketten, aber „so etwas ist undenkbar für mich. Und es wird auch niemals irgendwo einen Pappaufsteller von mir geben.“
Er sei eine Rampensau, sagt er, und er brauche diese Welt außerhalb von Wirsberg. Die Kochsendungen oder seine Sterneküchen-Live-Tour seien Momente, die ihm sein Leben lang in Erinnerung bleiben würden, da geht es nicht nur ums Geld. „Die Live-Tour etwa rentiert sich finanziell definitiv nicht, und es ist mir ehrlich gesagt völlig egal. Die Leute lieben es, und ich liebe es auch.“
Es ist und bleibt eben schwierig, Alexander Herrmann in eine Schublade zu stecken. Die würde klemmen.
Pochierte Forelle
Kräutersalat, Wasabi-Avocado, Schwarzbrot
Das Rezept ist auch online unter www.rollingpin.eu/qrcode abrufbar.