Andreas Döllerer: Mann am Limit

Schwindelfrei am Wendepunkt: Warum Andreas Döllerer mit seiner Cuisine Alpine zum Erneuerer der österreichischen Küchenbewegung werden kann.
Januar 20, 2016 | Text: Georg Hoffelner | Fotos: Monika Reiter, Jörg Lehmann

Andreas Döllerer

Der Ausnahmekoch

Sir Edmund Hillary, Heinrich Harrer, Reinhold Messner. Männer, die zur Legende, zu einem Mythos wurden. Synonyme für das Abenteuer Berg, die Sehnsucht nach Freiheit, den Weg nach oben. Person, Seele und Geist verschmelzen dabei zu einem authentischen Symbol für den innovativen Eroberertypus.

Andreas Döllerer hat es mit dynamischen 36 Jahren vielleicht noch nicht zum Legendenstatus geschafft, doch treffen beim kernigen Ausnahmekoch all die gerade genannten Attribute zu. Dieser Mann ist nämlich ständig in Bewegung, Stillstand ein Fremdwort. Das waghalsig ans Limit gehende Konzept aus Tradition und Innovation ist ein Musterbeispiel für die Verbindung von künstlerischem Ansatz im Kochen mit ausschließlich hochwertigen Zutaten. Seine Kreationen sind wie Wanderungen angelegt, ein zeitloser Balanceakt zwischen Heimatliebe, altbewährter Küche und individuellem Charakter…

 

Der Ausnahmekoch

Sir Edmund Hillary, Heinrich Harrer, Reinhold Messner. Männer, die zur Legende, zu einem Mythos wurden. Synonyme für das Abenteuer Berg, die Sehnsucht nach Freiheit, den Weg nach oben. Person, Seele und Geist verschmelzen dabei zu einem authentischen Symbol für den innovativen Eroberertypus.  Andreas Döllerer hat es mit dynamischen 36 Jahren vielleicht noch nicht zum Legendenstatus geschafft, doch treffen beim kernigen Ausnahmekoch all die gerade genannten Attribute zu. Dieser Mann ist nämlich ständig in Bewegung, Stillstand ein Fremdwort.

Das waghalsig ans Limit gehende Konzept aus Tradition und Innovation ist ein Musterbeispiel für die Verbindung von künstlerischem Ansatz im Kochen mit ausschließlich hochwertigen Zutaten. Seine Kreationen sind wie Wanderungen angelegt, ein zeitloser Balanceakt zwischen Heimatliebe, altbewährter Küche und individuellem Charakter.

Erfolgreiches Powercouple

Gemeinsam mit seiner Frau Christl hat Döllerer in Golling nahe der Festspielstadt Salzburg ein einzigartiges Imperium geschaffen: Vom großzügigen Eingangsbereich mit Familientisch zwischen Rezeption und Restaurant, den ursprünglich gehaltenen Wirtshausstuben bis zum modern und sehr entspannt konzeptionierten Restaurant hat das seit jeher visionäre Genussleben im Familienbetrieb jenen Raum, den es verdient.

Die Erfolge ragen wie 8000er in den kulinarischen Himmel, Titel wie „Gault Millau Koch des Jahres“ oder „Koch des Jahres“ bei der LEADERS OF THE YEAR-Gala versinnbildlichen sein unbändiges Streben nach oben.

2009 hat sich Döllerer den Namen „Cuisine Alpine“ sogar markenrechtlich schützen lassen und um der Welt bis ins letzte Detail zu veranschaulichen, wie er alpine Küche definiert, hat er 2015 auch ein Buch mit dem gleichen Titel herausgebracht. Das Kochbuch ist zweisprachig erschienen. „In erster Linie haben wir die englische Version für all unsere internationalen Gäste gemacht, die im Sommer zur Festspielzeit zu uns kommen. Zum anderen finde ich, dass alpine Küche auch das Potenzial hat, über unsere Grenzen hinaus bekannt zu werden“, erklärt er.

Das kostet natürlich viel Geld, es war dem ambitionierten Salzburger aber wichtig, auch da ein Ausrufezeichen zu setzen, um zu zeigen, dass die alpine Kochbewegung eine große Wertigkeit hat.

Kulinarischer Mountainman

Doch wie sieht der Spitzenkoch eigentlich selbst seine alpine Küche? „Für mich ist es eine Küche mit den Produkten aus der unmittelbaren Region, die sehr stark auf Traditionen setzt, also traditionelle Gerichte miteinbezieht. Aber auch viele Wildpflanzen und Produkte, die man in der Küche vielleicht gar nicht erwarten würde, kommen dabei zum Einsatz.“

Er setzt dabei Produkte ein, die schmecken, schlüssig sind, eine Story haben und Gäste so auf eine fesselnde Genusstour mitnehmen. Döllerer kocht fast nur mit Zutaten, die aus einem beachtlichen Netzwerk von Bauern und Produzenten aus der unmittelbaren Salzburger Umgebung stammen. Gemüse aus dem Tennengau, Fische aus dem Bluntautal, Tauernroggen oder Fichtenwipfel machen seine Handschrift inzwischen unverkennbar.

Zudem ist er ständig auf der Suche nach neuen Überraschungseffekten und lässt sich so allerhand Aha-Momente einfallen. Döllerer backt Fenchel in Gletscherschliff vom Großglockner oder serviert die Salzburger Variante einer Jakobsmuschel aus Ochsenmark. Vor allem sein Gletscherschliff ist mittlerweile international bekannt. Er ist das Gesteinsmehl, das beim Gleiten des Eises über den erodierenden Untergrund entsteht. „Das wird gesammelt und daraus haben wir einen Teig gemacht. Darin wird etwa Fenchel gebacken“, schildert er eine seiner Errungenschaften.

Was vom Berg kommt, muss runter!

Vogelbeere, Holunderblüte oder Enzian sind weitere Beispiele für die alpine Küche Döllerers. Bei Produkten wie der Zirbe verdeutlicht er, dass das Team noch stark am Experimentieren ist und sich von keinen Herausforderungen oder auch etwaigen Tiefschlägen stoppen lässt. „Jedes Jahr kommen neue Entdeckungen dazu und so wird munter darauflosexperimentiert“, lacht der Küchenpionier.

Für diese Produkte gibt es jedoch keinen Lieferanten. Da ist das Team Döllerer selbst für den Nachschub verantwortlich und das schlichte Motto lautet: „Marschieren!“ „Da bekommt man natürlich auch als Koch einen ganz anderen Bezug, wenn man sich seine Zutaten selbst aus Wäldern oder den Bergen holt.“ Im Mai etwa wurden die grünen Tannenzapfen, die bereits voll im Harz waren, geerntet. „Da muss man dann jedoch schon 15 Meter den Baum hinaufkraxeln, um seine Ware zu finden“, schmunzelt der Salzburger über die halsbrecherische Ernte.

österreichische Küchenbewegung

Auch die Almkräuter spielen bei Döllerer eine große Rolle, was sich in weiterer Folge auch im Heu widerspiegelt. „Wir kreieren sehr viele Gerichte mit Heu und da sind aromatische Kräuter natürlich essenziell!“ Ein weiterer Punkt, wo die herausragende Kräutervielfalt zum Tragen kommt, ist die Milch. Döllerers Team arbeitet vermehrt mit diesem tollen Produkt. „Im Salzburger Land gibt es natürlich nicht so viele Obst- oder Ackerbauern, dafür aber vor allem Milchbauern und die produzieren aufgrund der hervorragenden Almwiesen außergewöhnlich aromatische Milch.“

Die Kuh, die bringt’s

Stolze 15 Milchrezepte finden sich in seinem neuen Kochbuch. Das Buch wurde übrigens nicht nach Vor-, Haupt- und Nachspeisen aufgebaut, sondern strikt nach Produktgruppen. Dadurch wurde auch die Milch zu einem Kernthema. Im alpinen Bestseller gibt es auch ein Kapitel namens Kindheitserinnerungen. Traditionelle Gerichte wie Speckfarfelsuppe oder Damnidei mit Sauerkraut wecken dabei Erinnerungen und finden auch im Fine-Dining-Restaurant auf der Speisekarte ihren Platz. Dort allerdings individuell, mit dem gewissen Dreh.

Auch bei Ausnahmeproduzenten wie dem Söldener Yak-Michel wird der umtriebige Küchenchef fündig und ordert Yak-Fleisch, Tuxer Rinder oder Zackelschafe. Schlüssige hochalpine Tierarten, die der abenteuerlustige Genießer nicht jeden Tag auf seinem Teller findet. „Vor allem aber in unserer unmittelbaren Region bekommt man verstärkt tolle Ware, wie etwa die Rinderrasse Pustertaler Sprinzen. Auch gereift, erst unlängst habe ich wieder einmal eine 12-jährige Milchkuh bekommen. Der Geschmack ist einfach grandios!“ Pure Rindfleischpower, die den Koch zu neuen Höhenflügen inspiriert.

Döllerers Genusswelten

We are Family!

Das Familienunternehmen ist mittlerweile beachtlich, und eindrucksvoll: eine sehr gut bestückte Enoteca, eine ebensolche Fleischerei, ein kleines Hotel, ein echtes Dorfwirtshaus und ein Fine-Dine-Restaurant, das derzeit zu den interessantesten des Landes gehört. Und nicht zu vergessen ein florierender Weinhandel. Vor allem das Wirtshaus ist Döllerer noch eine Herzensangelegenheit. „Das ist das, wo wir herkommen.“ Seit 106 Jahren ist die Familie Döllerer mittlerweile am Markt und das alles hat natürlich als Wirtshaus begonnen. Immer in Verbindung mit einer eigenen Metzgerei. „Kalbsniere, Beuschel oder gebackenes Hirn sind Produkte, die ich bevorzugt suche, wenn ich irgendwo essen bin.“

Laut Döllerer findet man die heutzutage aber leider sehr selten. Und weil er sie selbst so schätzt, stehen sie bei ihm natürlich auch auf der Speisekarte. „Wir hatten in den 80er-Jahren ein reines Gourmetrestaurant. Wir haben gelernt, dass dieses Modell nicht unproblematisch ist, da man nur von einer Gästeschicht abhängt. In den frühen 90er-Jahren haben wir das Ganze dann zweigeteilt.“ Kurz: Auf mehreren Beinen steht man bekanntlich besser. „Sollte es in irgendeinem Bereich Probleme geben, kann man das viel besser wieder abfangen.“

Auch die dadurch vorhandenen Synergien werden genutzt. Durch Einkauf oder logistische Abläufe ergeben sich hier viele Vorteile.  Das Küchenteam kocht dabei für das Wirtshaus genauso wie für das Genießerrestaurant. „Das ist vor allem für unsere Mitarbeiter extrem spannend, weil man klassische Küche wie Beuschel, Rostbraten und Schwarzbeernocken kocht, im gleichen Augenblick aber auch für die gefinkelte Avantgardeküche verantwortlich ist“, ist sich Döllerer des abwechslungsreichen Arbeitsumfeldes bewusst. „Da ist es bei Neuzugängen auch jedes Mal extrem spannend mitzuerleben, dass manche Jungköche keine Ahnung davon haben, wie man ein gutes Gulasch kocht, da sie nur in Fine-Dining-Restaurants waren. Da kann man bei uns auf jeden Fall viel mitnehmen.“

Andreas Döllerer

Döller ist daher auch in einer Vereinigung, die sich „Das kulinarische Erbe der Alpen“ nennt. Eine Gruppe von Menschen, geeint durch die gemeinsame Liebe und Leidenschaft für die kulinarische Geschichte des Alpenraumes, sein vielfältiges Terroir und seine erstklassigen Produkte.

Und genau hier könnte die gesamte Alpenrepublik vom talentierten Salzburger und seinem Begriff „Cuisine Alpine“ profitieren. Zumindest weiterhin gemeinsam an neuen Konzepten arbeiten. Denn wie lange gibt es schon die Diskussion um einen passenden Begriff, der die österreichische Kulinarik auch auf dem internationalen Parkett etabliert? Und wie Döllerer selbst feststellt: „Natürlich ist alpine Küche dafür eine Möglichkeit.“

Im Osten Österreichs wäre das dann aber natürlich problematisch. Ein Reitbauer oder Weissgerber können sich mit dem Titel „Cuisine Alpine“ wahrscheinlich weniger anfreunden. Es wäre aber natürlich ein sehr zugkräftiges Schlagwort, das man auch immer mit Österreich assoziiert. „Berge und klassische Musik sind eben unsere internationale Trademark. Also meiner Meinung nach ist das schon etwas, was man zu Ende überlegen sollte“, sinniert Döllerer über den möglichen Motor einer revitalisierten österreichischen Küche.

Auf welchen Berg willst du noch?

Döllerers Zukunft bleibt also weiterhin spannend und in Bewegung. Vor allem gebe es aber noch einen Gipfel zu erklimmen, quasi den kulinarischen 8000er. 19 Punkte im Gault Millau und somit in die Elite der österreichischen Vierhauber aufzusteigen. „Ich habe meine Ziele nie über Auszeichnungen definiert und das werde ich auch in Zukunft nicht machen.“

Deshalb will Döllerer die vierte Haube auch bestimmt nicht als Ziel nennen, denn das hätten andere in der Hand. „Wir versuchen, uns jährlich zu verbessern und meiner Idealvorstellung von einem alpinen Restaurant gerecht zu werden. Wenn wir das schaffen, bin ich mir sicher, dass sich das auch in Bewertungen niederschlagen wird.“

Döllerer ist jetzt 36. Er hat also schon noch ein paar Jährchen Zeit. „Ich finde nicht, dass es schlimm ist, wenn man mit diesem Alter noch nicht in jedem Führer die Höchstpunktezahl hat.“ Auch ein Reinhold Messner startete mit 36 Jahren seinen internationalen Triumphzug, indem er zum zweiten Mal den Gipfel des Mount Everest ohne künstlichen Sauerstoff und  völlig alleine eroberte.

Eine alpine Glanzleistung, die vor ihm noch niemandem gelungen war. Es wird sich zeigen, ob es Andreas Döllerer ebenfalls gelingt, Meilensteine für kommende Generationen zu setzen.

www.doellerer.at

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