Eckart Witzigmann: Der Chef der Chefs
Die Sache mit lebenden Legenden ist die: Sie sind, was auch immer sie tun, unantastbar. Ganz egal wo, ganz egal wann – es umgibt sie diese ehrfurchtgebietende Aura eines (Halb-)Gotts, der auf nichts als auf Knickse und Verbeugungen trifft. Umso schöner also, dass auch sie runde Geburtstage feiern. Oder eben feiern müssen. Denn während sie an allen anderen Tagen des Jahres als institutionalisierte Autorität durch die Welt stampfen, sind sie an ihrem Ehrentag wohl oder übel auch eines: Geburtstagskind. Und damit auch etwas weniger unantastbar als sonst.
Neben der Bedeutsamkeit ihres überlebensgroßen Vermächtnisses wird in diesem kurzen Zeitfenster von 24 Stunden also auch ihr Leben, ihr ganzes Leben gefeiert: die Kindheit. Die tollpatschigen Anfänge. Die ersten Erfolge. Der Durchbruch. Aber auch die Tiefs. Die Momente am Boden. Und schließlich die Wiedergeburt. Das Sich-neu-Erfinden.
All das ist der Stoff, aus dem auch das Leben des Eckart Witzigmann gemacht ist. Deutschlands erster 3-Sterne-Koch, der am 4. Juli seinen 80. Geburtstag feiert, revolutionierte mit seiner Küche die gesamte Kulinarik im deutschsprachigen Teil Europas. Der Gault Millau dankte ihm das, indem er ihn 1994 zum Jahrhundertkoch kürte. Eine Auszeichnung, die neben ihm nur drei weiteren Kochgiganten zuteilwurde: Frédy Girardet, Paul Bocuse und Joël Robuchon. All diesen Höhepunkten gingen tributvolle Jahre voraus, und auch seither hat sich im Leben des „Chefs der Chefs“ erstaunlich viel getan. Aber fangen wir von Anfang an.
Zwei Fremdwörter, ein Fehler
Die Sache mit lebenden Legenden ist die: Sie sind, was auch immer sie tun, unantastbar. Ganz egal wo, ganz egal wann – es umgibt sie diese ehrfurchtgebietende Aura eines (Halb-)Gotts, der auf nichts als auf Knickse und Verbeugungen trifft. Umso schöner also, dass auch sie runde Geburtstage feiern. Oder eben feiern müssen. Denn während sie an allen anderen Tagen des Jahres als institutionalisierte Autorität durch die Welt stampfen, sind sie an ihrem Ehrentag wohl oder übel auch eines: Geburtstagskind. Und damit auch etwas weniger unantastbar als sonst.
Neben der Bedeutsamkeit ihres überlebensgroßen Vermächtnisses wird in diesem kurzen Zeitfenster von 24 Stunden also auch ihr Leben, ihr ganzes Leben gefeiert: die Kindheit. Die tollpatschigen Anfänge. Die ersten Erfolge. Der Durchbruch. Aber auch die Tiefs. Die Momente am Boden. Und schließlich die Wiedergeburt. Das Sich-neu-Erfinden.
All das ist der Stoff, aus dem auch das Leben des Eckart Witzigmann gemacht ist. Deutschlands erster 3-Sterne-Koch, der am 4. Juli seinen 80. Geburtstag feiert, revolutionierte mit seiner Küche die gesamte Kulinarik im deutschsprachigen Teil Europas. Der Gault Millau dankte ihm das, indem er ihn 1994 zum Jahrhundertkoch kürte. Eine Auszeichnung, die neben ihm nur drei weiteren Kochgiganten zuteilwurde: Frédy Girardet, Paul Bocuse und Joël Robuchon. All diesen Höhepunkten gingen tributvolle Jahre voraus, und auch seither hat sich im Leben des „Chefs der Chefs“ erstaunlich viel getan. Aber fangen wir von Anfang an.
Zwei Fremdwörter, ein Fehler
Geboren wurde Eckart Witzigmann 1941 im vorarlbergerischen Hohenems. Vater Schneidermeister, Mutter Hausfrau und – so der Jahrhundertkoch einmal – sensationelle Köchin. Obwohl der kleine Eckart in Bad Gastein, der Heimat seiner Mutter, aufwuchs, verbrachte er regelmäßig Zeit in der Grafenstadt Vorarlbergs. Die Kässpätzle und Leberspätzlesuppe seiner Tanten, aber auch die in ländlichen Gefilden damals noch gar nicht so verbreitete Muskatnuss als Gewürz prägten das frühe kulinarische Empfinden des späteren Aromentüftlers. Dass seine Großmutter Herrschaftsköchin und begnadete Mehlspeisenköchin war und vom Großvater über den Onkel bis hin zum Cousin eine kleine Bäckerdynastie zur Familie zählte, führte dazu, dass bis heute die frühen Kindheitserinnerungen kulinarischer Natur sind. Neugierig, wie er bis heute ist, sah Witzigmann während der Ferien im Ländle den Bäckern und Konditoren über die Schulter, lernte, die unterschiedlichsten Brotlaibe voneinander zu unterscheiden. Kurz: So ganz abwegig war das nicht, dass er sich als Teenager für eine Lehre als Koch entschied.
Dennoch: Mit seinem Vorhaben, Koch zu werden, hatten Witzigmanns Eltern keine Freude. Wohl oder übel organisierte Witzigmann senior seinem Sohn eine Lehrstelle im ehrwürdigen Hotel Straubinger. Es ist der Nachsicht des dortigen Küchenchefs Ludwig Scheibenpflug zu verdanken, dass Witzigmanns Kochkarriere nicht gleich am ersten Tag endete. Die Anekdote ist fast schon legendär: Der grüne Küchenjunge sollte eine Consommé abpassieren. Zwei Fremdwörter auf einmal, und das am ersten Tag – konnte das gut gehen? Der Lehrling hob das Klärfleisch auf und schüttete die eigentlich benötigte Suppe weg. Scheibenpflugs Reaktion: „Man soll eine geklärte Suppe nicht wegschütten.“ Vermutlich nicht in diesen leisen Worten.
Elsass statt Johannesburg
Der Lerneffekt jedenfalls war Witzigmann sicher. Und seinen Lernwillen kultivierte er von da an mit einer Inbrunst, wie sie heutzutage wohl nur noch die Ausnahme ist. Auch an seinem freien Tag stand er in der Küche. „Warum nicht?“, fragte er einmal. „Ich wollte doch lernen!“ Die Abschlussprüfung vergeigte er trotzdem. Das lag aber an seiner Jugendliebe namens Ida, die ihm wohl im falschen Moment den Kopf verdreht hatte. Also wiederholte er die leidige Gesellenprüfung, um endlich das zu tun, wovon er immer intensiver träumte: in der großen, weiten Welt noch besser kochen zu lernen. Das tat er in den folgenden Jahren im Grand Hotel Axelmannstein in Bad Reichenhall, im Schlosshotel Pontresina in der Schweiz, im Hotel Petersberg in Königswinter, im Hotel National in Davos und schließlich im Grand Hotel Hof Ragaz.
Die wohl alles entscheidende Begegnung trug sich kurz darauf beim Skifahren in Davos zu. „Per Zufall bin ich mit Jean-Pierre Haeberlin zwei Mal mit dem Lift hochgefahren. Ich habe ihm gesagt: ‚Mein größter Traum wäre es, einmal in Frankreich arbeiten zu dürfen.‘“ Zwar treffen sich die beiden noch am selben Abend, um Näheres zu besprechen. Doch die darauffolgenden Briefe und Bewerbungsschreiben, mit denen Witzigmann die Familie Haeberlin und ihren legendären Sternetempel L’Auberge de l’Ill im Elass torpediert, bleiben unbeantwortet.
„Ich wollte eigentlich schon nach Johannesburg“, erinnert sich Witzigmann. „Aber als die Saison im Grand Hotel in Bad Ragaz zu Ende war, kommt ein großes Kuvert mit der Menükarte der L’Auberge de l’Ill – und der Info, dass ich am 15. Februar 1964 dort anfangen darf.“ Rückblickend betrachtet kann man feststellen: Dieses Datum markiert nicht nur einen Wendepunkt in der Karriere Eckart Witzigmanns, sondern auch den inoffiziellen Beginn einer neuen Zeitrechnung in der deutschsprachigen Spitzengastronomie. Von da an saugte der Herdverrückte von den Besten ihrer Zunft all das auf, womit er einige Jahre später die gesamte deutschsprachige Welt kulinarisch auf neue Beine stellen sollte.
Man begann also ganz unten in der Küchenhierarchie und ich habe es mit viel Fleiß und Einsatz bis an die Seite des Küchenchefs in Lyon gebracht.
Auch Giganten wie Eckart Witzigmann haben einmal ganz unten angefangen
Es gibt nur einen
Auf die L’Auberge de l’Ill folgt Paul Bocuse, der damalige Star der französischen Küchenwelt und der weltweit bekannteste Koch seiner Zeit. „Ich war 26, kam auf Empfehlung von Paul Haeberlin – war also nicht der ahnungslose Eleve, der da antrat, sondern war dabei, mein bisher erworbenes Wissen abzurunden. In der Praxis bedeutete das 300 Francs Entgelt pro Monat und mindestens 14-stündige Arbeitstage.“ Wie bei Haeberlin ist er in Lyon der erste Nichtfranzose in der Küche. „Man begann also ganz unten in der Küchenhierarchie und ich habe es mit viel Fleiß und Einsatz bis an die Seite des Küchenchefs in Lyon gebracht.“ Es folgten Stationen bei weiteren Granden der Nouvelle Cuisine wie etwa Roger Vergé oder Michel Troisgros.
Und schließlich schlägt der lernwütige Küchenvagabund eine Karriere in den USA ein, wo sogar ein Angebot von Ethel Kennedy, der Schwägerin des Ex-Präsidenten John F., ins Haus flattert. Doch ein frankophiles Feinschmecker-Pärchen aus München legt dem Spitzenkoch, der da langsam von sich reden macht, ein verlockenderes Angebot vor. Zusammen mit seiner Frau will der Bauunternehmer Fritz Eichbauer in München ein Restaurant aus dem Boden stampfen, das Spitzenküche serviert, wie es die besten Adressen seiner ausgedehnten Frankreich-Reisen tun. „Das, was ihr vorhabt, das kann nur Eckart machen“, heißt es unisono von den Haeberlins.
Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann ganz persönlich:
Das Küchenwunder
Der 2. Dezember 1971. Das Tantris in München-Schwabing eröffnet. Rosa gebratenes Fleisch, glasiger Hummer, frischer Estragon und Thymian – all das stößt in der teutonischen Kulinarik-Wüste auf Skepsis. Witzigmann selbst spricht von einer „Entdeckungsreise, von der niemand wusste, ob sie je ihr Ziel erreichen wird“. Im Nachhinein betrachtet ist die Sache klar: 1973 holt Witzigmann für die „Wiege der deutschen Spitzengastronomie“, wie das Tantris mittlerweile genannt wird, den ersten Michelin-Stern. 1974 den zweiten. Damit rangiert das Tantris unter den besten sieben Restaurants
Deutschlands und avanciert zur absoluten Kaderschmiede der neuen deutschen Küche. Das lag auch daran, dass sich Witzigmanns Küche immer mehr von den großen französischen Vorbildern emanzipierte, ohne jedoch das klassische Handwerk zu vernachlässigen. Neben Hummer, Steinbutt, Gänseleber und Bresse-Tauben gesellten sich immer öfter Flusskrebse, Saiblinge oder andere regionale Produkte auf die Teller. „Das Produkt ist der Star“, so das damals exzentrische Credo des Meisters, das heute selbstverständliche Maxime jedes (Spitzen-)Kochs in unseren Breiten ist. Damit hauchte Witzigmann Deutschland als erster so etwas wie ein kulinarisches Selbstwertgefühl ein, während Kritiker das „deutsche Küchenwunder“ ausriefen.
Um dieses Wunder in einer eigenen Stätte möglichst ungestört zelebrieren zu können, eröffnete Witzigmann 1978 sein eigenes Restaurant am Münchner Maximiliansplatz. Der Name eine Hommage an die L’Auberge de l’Ill, an seine Lehrmeister und Wegbereiter Haeberlin. Stilecht wird das Restaurant auberginefarben und silbern ausgestattet. Und ist – wenig verwunderlich – von Anfang an brechend voll. Hans Haas, Karlheinz Hauser, Roland Trettl, Bobby Bräuer – die Liste seiner Schüler in der Aubergine liest sich wie das heutige Who’s who der deutschsprachigen Spitzengastronomie. Und alle sind sich einig: Nirgends lernte man so viel wie bei Witzigmann. Und bis heute suche man wohl vergeblich nach einem Dreisterner, der die eigene Kreativität so stark forderte und förderte wie die Aubergine.
1979 verleiht der Guide Michelin in seiner 1980er-Ausgabe Eckart Witzigmanns Pilgerstätte drei Michelin-Sterne. Damit war der Österreicher Deutschlands erster 3-Sterne-Koch überhaupt – und der zweite außerhalb Frankreichs. Über ein Jahrzehnt hält der zum Promi-Koch Gewordene die drei begehrten Macarons. 1994 muss die sagenumwobene Pilgerstätte ihre Pforten schließen – doch Witzigmann wäre nicht der, der er ist, hätte er sich seither nicht neu erfunden.
Aus dem hemdsärmeligen Herdmagier wurde seither nicht zuletzt das, was damals im hektischen Tagesgeschäft zu wenig Sichtbarkeit erfuhr: die „Marke“ Eckart Witzigmann. Der Jahrhundertkoch, der sich über die Jahre zu so etwas wie der Grauen Eminenz der deutschsprachigen Spitzengastronomie entwickelte. Dessen Schüler die Shootingstars von heute sind. Und der einer ganzen – mittlerweile stolzen – Kulinariknation als unbestrittener Leuchtturm dient.
Was bleibt
Seine Funktion als Patron des Salzburger 2-Sterne-Restaurant Ikarus ist dabei nur eine Facette seines umtriebigen Tuns. Teile seines Vermächtnisses finden sich seit Kurzem in seinem neuen, zweibändigen Buch „Was bleibt“. Während der Meister in Band 1 – mit dem Zusatztitel „Meine Vision“ – sein Leben selbst reflektiert, interpretieren im zweiten Band namens „Mein Werk“ seine Schüler und ehemaligen Weggefährten die Klassiker ihres Meisters neu. Eine standesgemäße, überaus gelungene Tour de Force durch über fünf Jahrzehnte Kochkunst.
Und doch: Je mehr man – das gilt auch für die junge Generation – über Eckart Witzigmann erfährt, desto klarer geht einem auf: Selbst ein vierbändiges Werk vermöge es nicht, das Vermächtnis der unumstrittenen „Mutter aller Köche“ zwischen die Buchdeckel zu zwängen. Geburtstagskind hin oder her: Eckart Witzigmann bleibt als einer der wenigen eben auch zu seinem Geburtstag unantastbar.