Zwischen Himmel und Erde

Ist nicht alles zwischen Himmel und Erde regional? Das gleichnamige Lieblingsgericht der Rheinländer steht für die Region wie Birne, Bohnen, Speck für Norddeutschland. Aber was steckt hinter dem Unwort Regionalität? Und wann ging der traditionelle Ursprungsgedanke verloren?
November 13, 2015

Zwischen Himmel und ErdeFoto: Shutterstock

Ein Apfelgericht im Frühjahr: Kauft der bewusste Konsument und Koch das Obst aus Deutschland oder doch aus Australien? Unter dem Deckmäntelchen Regionalität muss er sich selbstverständlich für den heimischen Apfel entscheiden. Wieso eigentlich? Weil der Transport so viel Kohlendioxid verursacht und das schädlich für die Umwelt ist? Oder etwa doch nicht? Vergleicht man die Bilanz eines gelagerten und eines eingeflogenen Apfels, muss die Entscheidung zugunsten des ausländischen Kernobstes ausfallen. Nicht immer bedeutet regional nämlich auch umweltfreundlich. Das liegt im Falle des Apfels am Lageraufwand, der einen kontinuierlichen Gasaustausch erfordert, damit er auch nach einem halben Jahr nach der Ernte noch frisch und lecker ist. Im Herbst und Winter haben auf der anderen Seite der Erde Äpfel gerade Saison. Der Ausstoß von Treibhausgasen durch den Flugtransport wurde damit überholt. Aber muss im Frühjahr überhaupt ein Apfel ins Gericht?

Saisonal vs. regional
Das Wort Regionalität wird von jedem benutzt, aber umfasst selten tatsächlich einen messbaren Raum. Abgesehen davon kennt selbst der Duden das Wort nicht. Da gilt es, zumindest einen Versuch für die Definition zu starten: Eine Region ist im weitesten Sinne eine geografische Lage, die unter der Landesgrenze, aber außerhalb des Dorfrandes liegt. Das ist immer noch schwammig, aber immerhin schließt es das Ausland aus. Außer man wohnt an der Landesgrenze, dann wird eine ausländische Region womöglich näher als der Rest des eigenen Landes liegen. Immer noch schwammig.
Historisch betrachtet, ist eine Region im Umkreis von 50 bis 100 Kilometern um den eigenen Standpunkt, da man in dem Umkreis noch ohne Verkehrsmittel hinreisen konnte. Will man die Region auf philosophische Art begreifen, schließen die Grenzen persönliche Kontakte ein und lassen sich darüber hinaus individuell festsetzen. So machen es wahrscheinlich die meisten: Wie es einem gerade am besten in den Kram passt, wird die Grenze weiter oder enger gefasst. Oder ist es nicht sinnvoll, seinen eigenen Radius zu vergrößern, vor die Tür zu gehen und zu schauen, was angeboten wird? Olivenöl aus Italien, Zitrusfrüchte aus Asien, Fleisch aus Argentinien? Wenn ausländische Produzenten es besser können als die einheimischen, ist es dann o. k., auf diese Produkte zurückzugreifen? Oder ist nicht tatsächlich die Qualität das entscheidende bei der Auswahl der Produkte? Dann muss es so sein, dass…

Zwischen Himmel und ErdeFoto: Shutterstock

Ein Apfelgericht im Frühjahr: Kauft der bewusste Konsument und Koch das Obst aus Deutschland oder doch aus Australien? Unter dem Deckmäntelchen Regionalität muss er sich selbstverständlich für den heimischen Apfel entscheiden. Wieso eigentlich? Weil der Transport so viel Kohlendioxid verursacht und das schädlich für die Umwelt ist? Oder etwa doch nicht? Vergleicht man die Bilanz eines gelagerten und eines eingeflogenen Apfels, muss die Entscheidung zugunsten des ausländischen Kernobstes ausfallen. Nicht immer bedeutet regional nämlich auch umweltfreundlich. Das liegt im Falle des Apfels am Lageraufwand, der einen kontinuierlichen Gasaustausch erfordert, damit er auch nach einem halben Jahr nach der Ernte noch frisch und lecker ist. Im Herbst und Winter haben auf der anderen Seite der Erde Äpfel gerade Saison. Der Ausstoß von Treibhausgasen durch den Flugtransport wurde damit überholt. Aber muss im Frühjahr überhaupt ein Apfel ins Gericht?

Saisonal vs. regional
Das Wort Regionalität wird von jedem benutzt, aber umfasst selten tatsächlich einen messbaren Raum. Abgesehen davon kennt selbst der Duden das Wort nicht. Da gilt es, zumindest einen Versuch für die Definition zu starten: Eine Region ist im weitesten Sinne eine geografische Lage, die unter der Landesgrenze, aber außerhalb des Dorfrandes liegt. Das ist immer noch schwammig, aber immerhin schließt es das Ausland aus. Außer man wohnt an der Landesgrenze, dann wird eine ausländische Region womöglich näher als der Rest des eigenen Landes liegen. Immer noch schwammig.
Historisch betrachtet, ist eine Region im Umkreis von 50 bis 100 Kilometern um den eigenen Standpunkt, da man in dem Umkreis noch ohne Verkehrsmittel hinreisen konnte. Will man die Region auf philosophische Art begreifen, schließen die Grenzen persönliche Kontakte ein und lassen sich darüber hinaus individuell festsetzen. So machen es wahrscheinlich die meisten: Wie es einem gerade am besten in den Kram passt, wird die Grenze weiter oder enger gefasst. Oder ist es nicht sinnvoll, seinen eigenen Radius zu vergrößern, vor die Tür zu gehen und zu schauen, was angeboten wird? Olivenöl aus Italien, Zitrusfrüchte aus Asien, Fleisch aus Argentinien? Wenn ausländische Produzenten es besser können als die einheimischen, ist es dann o. k., auf diese Produkte zurückzugreifen? Oder ist nicht tatsächlich die Qualität das entscheidende bei der Auswahl der Produkte? Dann muss es so sein, dass die kleinen Produzenten gefördert werden. Mit ihnen können gemeinsame Projekte wie der Anbau von einer alten Getreide- oder Gemüsesorte umgesetzt werden, oder die Qualität kontinuierlich und verlässlich gesteigert werden. Und man bietet denen, die mit Liebe herstellen, produzieren und dafür leben, eine Bühne. Denn von dort kommt die wirklich gute Qualität. So kann sich der einzelne Gastronom auch von der breiten Masse abheben: exklusive Produkte, die aus der Region kommen – und wirklich nur aus der einen Region – wie Moos in Kopenhagen direkt neben dem noma, das René Redzepi zu so genialen Gerichten verarbeitet, oder der bestimmte Apfelbaum aus dem Wiener Umland, von dem Heinz Reitbauer jedes Jahr die Äpfel bezieht. So wird eine Geschichte erzählt, die sich regional abspielt und im Kopf der Gäste bleibt. Dabei sind die zwei Zutaten: kreative Ideen und ehrliche Produkte. Diese eigenen, sich von anderen abhebenden Produkte gepaart mit grandiosen Zutaten aus aller Welt – das ist eine Küche, die im Gedächtnis bleibt.
Da greift dann auch die Rückbesinnung zur Saisonalität: Wer nur die Äpfel von diesem Baum verarbeiten möchte, der kann warten. Denn eine Saison beinhaltet die Geduld, die man naturgegebenen jahreszeitlichen Bedingungen entgegenbringen muss. Nur so bekommen die landwirtschaftlich erzeugten Lebensmittel die Wetterbedingungen, die sie benötigen, um zu gedeihen und ihr volles Aroma zu entfalten. Da eine Saison abhängig ist von den Wetterverhältnissen, können auf verschiedenen Teilen der Erde, das versteht sich von selbst, bestimmte Sorten schlechter oder besser reifen. Der Mensch ist aber nicht geduldig: Deshalb gibt es Gewächshäuser, ausgeklügelte Lagerhäuser oder den Import von Waren aus anderen Ländern. Und da der Mensch zudem ein Gewohnheitstier ist, hat er sich schnell mit dem Gedanken angefreundet, zu jeder Zeit jedes Produkt, leider auch in schlechter oder Standard-Qualität, beziehen zu können: Erdbeeren zu Weihnachten aus Marokko oder ganzjährig Zitronen aus Brasilien. Standard-Qualitäten sind in der modernen Spitzengastronomie natürlich auch verlässliche Größen, aber der wirkliche Ursprungsgedanke und die Ursprünglichkeit der Produkte machen die Küche interessant und abwechslungsreich. Denn die Äpfel aus dem Wiener Umland von dem einen Baum haben einen ganz besonderen eigenen Geschmack. Den kann keiner nachmachen.

Mit dem Wort Regionalität überrascht der Koch keinen Gast mehr.

Ökonomisch gesehen, ist es absolut nicht verwerflich, aus weit entfernten Ländern Qualitätsprodukte zu beziehen. Es ist auch genau das, was die Wirtschaft vorantreibt: Der Export deutscher Produkte ist ein großer Eckpfeiler des wirtschaftlichen Wachstums. So wurden 2013 Güter im Wert von 1093,9 Milliarden Euro (ausgeschrieben: 1.093.900.000.000 Euro) exportiert, was rund 40 Prozent des gesamten Bruttoinlandsproduktes beträgt. Beim Import sind die Deutschen knauseriger und wenn es dann auch noch um Lebensmittel geht, sollen sie am besten alle vom Bauern um die Ecke kommen. Was heißt das für den Koch? Wenn es die Produkte aus der Region nicht gibt, sollte er die beste Qualität von anderen Produzenten beziehen. Ob sie nun im Ausland sitzen oder nicht.

Maronensuppe mit geräucherter Entenbrust

von Johann Lafer

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Das Rezept wurde im Buch „Meine Heimatküche“ von Johann Lafer veröffentlicht, der in der Steiermark aufwuchs.
Das Buch erschien im Gräfe und Unzer Verlag.

Sicherheit vs. Regionalität
Woher kommt der Hype um die Regionalität? Natürlich, weil es die besten Produkte sein sollen, die Gäste und Endverbraucher auf dem Teller haben sollen. Und nicht nur die besten, sondern vor allem die sichersten. Denn das Vertrauen ist irgendwann auf der Strecke geblieben. Regionalität ist zu einem Synonym für „transparente Lieferketten“, „Rückverfolgbarkeit“ und nicht zuletzt „Lebensmittelsicherheit“ geworden. Wenn der in Massentierhaltung entstandene Schinken aus der Region kommt, kann der Käufer vorbeischauen und hat einen direkten Ansprechpartner. Und weil der Ansprechpartner weiß, dass jeder Einzelne von uns ihn kontrollieren könnte, ist er viel vorsichtiger bei der Aufzucht, mit dem Einsatz von Antibiotika und beim Bezug von Futtermitteln als die Kollegen aus Übersee. Leider ist das nicht ganz so!
Der Zweifel bezüglich der Sicherheit ist wohl begründet durch die Vielzahl an Skandalen: In Deutschland gibt es diese genauso wie in Übersee. Sei es die Problematik der Umetikettierung von abgelaufenen Fleischstücken im Jahr 2005, der Gammelfleisch-Skandal 2006 oder das katastrophale Jahr des Vertrauensverlustes 2011, in dem der Dioxin-Skandal, der EHEC-Erreger und die falsch deklarierten Bio-Lebensmittel für Aufsehen sorgten. Da kann man als Gastronom einem Verbraucher das fehlende Vertrauen gar nicht übel nehmen. Das Schlimmste daran: Alle Skandale liefen in der Region ab. Regionalität bedeutet nicht, dass die Produkte zwangsläufig sicherer sind. Aber noch viel schwieriger nachzuvollziehen ist die Sicherheit in anderen Ländern. Worauf soll sich der Gast also noch verlassen? Auf die sorgfältige Arbeit des Kochs, der sich die Mühe und Zeit nimmt, vor die Tür zu gehen und sich nach den besten und sichersten Produkten umzusehen. Das Vertrauen ist das entscheidende Argument bei der Wahl der Produkte. Dieses Vertrauen bauen Spitzenköche über Jahre hinweg zu ihren Produzenten und Lieferanten auf. Damit können sie auch ihren Gästen diese Angst vor schlechten, falschen oder sogar gesundheitsschädlichen Lebensmitteln nehmen. Und auch wenn ein Produkt nicht aus der Region kommt, ist es aufgrund der Arbeit, die sich ein Koch bei der Auswahl seiner Produkte macht, auch sicher und gut.
Wenn ein Koch sich diese Aufgabe zu Herzen nimmt, kann er sich durch die bestimmten regionalen und einzigartigen Produkte von seiner Konkurrenz absetzen und sich dann zusätzlich auf andere Schwerpunkte fokussieren. Ein großer Trend, der sich weiterverbreiten wird, ist der Gesundheitsaspekt, aber auch die vegetarische Schiene. Weiß der Gast an der Schwelle zum Restaurant, dass er sich um die Sicherheit keine Sorgen machen muss, kann der Koch seiner Kreativität freien Lauf lassen. Die Idee, auf bestimmte Produkte zu verzichten, um die eigene Küche kreativ umzugestalten, ist ein Projekt der Extraklasse. Woher bekommt man eine frische Säure, wenn man auf Zitronen verzichten muss? Oder die Süße, wenn kein Haushaltszucker mehr verwendet werden soll? Gäste sind – zum Glück – bereit, sich bei einem Essen in einem Restaurant überraschen zu lassen. Mit dem Wort Regionalität überrascht man allerdings niemanden mehr. Dafür wird es viel zu oft in den Medien und besonders gerne auch in jeder Küchenstilbeschreibung verwendet.

Tradition vs. Originalität
Die kulturelle Verbundenheit zu einer bestimmten Region ist ein guter Ansatz für einen attraktiven Stil. Interpretiert der Koch seine Wurzeln und die der Gäste mit Kreativität und Liebe zur Tradition um, entsteht ein Konzept, das nichts mehr mit dem inflationär verwendeten Wort Regionalität zu tun hat. Dann muss auch nicht jede Zutat aus der Region kommen – ein großes Lob an all die Köche, die dies konsequent umsetzen –, sondern der Ursprungsgedanke ist dann das entscheidende Argument. „Himmel un Ääd“, wie es die Rheinländer lieben, und die österreichische Kürbissuppe mit steirischem Kernöl finden dann wieder Anklang, wenn kulturelle Regionalität umgesetzt und nicht nur das Wort als Aushängeschild verwendet wird.
Das regionale Kulturgut in Norddeutschland aus Urgroßmutter Zeiten, „Birne, Bohnen, Speck“ hat in den Monaten August und September Saison. Hier überschneiden sich die Reifezeiten der Hülsenfrüchte etwa sechs Wochen lang mit den Birnen. Die Kartoffeln sind vom Acker, das Bohnenkraut als Gewürz der Wahl ist noch saftig und die Zwiebeln sind noch nicht trocken. Eine Hommage an die Herbstsaison und an die Region.
Das soll nicht heißen, dass bei einer Fokussierung der Küche auf kulturelle Rezepte aus einer Region auf alle anderen Produkte, Einflüsse und Rezeptideen verzichtet werden soll. Die feine und neue Interpretation mit den besten Zutaten sollte auch hier wieder – wie anders nicht zu erwarten – das oberste Ziel sein.

Politik vs. Eigenverantwortung
Dieses Ziel sollte durch die Initiative GenussRegion, die in Österreich 2003 ins Leben gerufen wurde, unterstützt werden. Dabei werden regionale Produkte, authentische Veranstaltungen, Gas-tronomie-Betriebe oder Tourismus-Gebiete, die die „beste regionale Qualität“ vorweisen können, gekennzeichnet. Aber benötigen Köche mit offenen Augen denn ein – teilweise sogar politisches – Instrument oder andere Siegel, die ihnen sagen, wo es die „regionalsten“ Produkte im ganzen Land gibt, wenn doch die authentischsten Lebensmittel – mit Geschichte – vor der eigenen Tür zu finden sind? Das Wichtigste sollte die Besinnung auf das Wesentliche sein: Womit kann der Koch sich von anderen abheben und was macht ihn originell? Alleine das Wort Regionalität ist es jedenfalls nicht.

Was ist Regionalität?

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Wichtig ist, dass wir immer Qualitätsprodukte verarbeiten können. Dafür ist nicht entscheidend, ob sie aus Wien oder Italien kommen. Wir suchen uns die besten Produzenten und bauen langjährige Beziehungen und einen nahen Kontakt zu ihnen auf. So kann ich mich – genauso wie der Gast sich – auf stetig gute Produkte verlassen.

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Gäste wollen Lebensmittelsicherheit: Sie halten sich an dem Begriff Regionalität fest, weil sie denken, dass Produkte aus der Region sicherer sind. Dabei haben wir auch hier große Skandale gehabt. Als Gastronom muss ich meinen Gästen die Sorgen nehmen, indem ich die besten Produkte auswähle und Kontakt zu meinen Produzenten habe – egal, wo sie sitzen.

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Für uns in der Küche der Saziani Stub’n ist die traditionelle steirische Küche das Entscheidende: Wir beziehen zwar rund 50 Prozent der verwendeten Produkte so wie Mehl, Milch, Eier, Fisch und Fleisch aus der Steiermark, achten aber vor allem darauf, dass wir das kulturelle Erbe der
Region weitergeben. Das ist für uns Regionalität.

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Nimmt man ausschließlich regionale Produkte, geht die Weitläufigkeit verloren. Kulturelle Verbundenheit mit regionalen Spezialitäten kann man gut in die Küche einfließen lassen. Aber die besten Produkte bekomme ich nicht unbedingt aus der Region. Ich orientiere mich mehr an der Saison und verfeinere die Gerichte dann mit internationalen Gewürzen, Zitrusfrüchten oder Trüffel.

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