The Standard Hotels: Das Leben als Spektakel

Die Standard Hotels sind zu einer der schillerndsten Hotelketten in den USA geworden. Wie keine andere verkörpert sie den tot geglaubten amerikanischen Traum – und rüttelt gehörig an Tabus.
November 2, 2018 | Text: Lucas Palm | Fotos: Shutterstock, Joe Yates

Es gibt Firmennamen, die könnten nicht grauer und unauffälliger sein. The Standard zum Beispiel. Vor allem, wenn man bedenkt, dass es sich hierbei um eine Hotelkette handelt, denn: Wer möchte im Urlaub oder auf Geschäftsreise schon demonstrativ standard wohnen? Tja, viele. Zumindest, wenn man Standard mit großem S schreibt. Genau darin liegt der Geniestreich des Hoteliers und Unternehmers André Balazs. Im wörtlichen Sinne hat er mit beneidenswertem unternehmerischem Geschick dafür gesorgt, dass The Standard Hotels sich einen Namen gemacht haben. Und zwar nicht irgend einen, sondern einen, der – so grau und unauffällig er auf den ersten Blick auch scheinen mag – etwas ausstrahlt, das so ziemlich das Gegenteil ist: Jugendlichkeit, ausschweifende Freiheit, Affinität zum Künstlertum, Exhibitionismus. Ja, Exhibitionismus. Aber dazu später.
The Standard Hotels: Das Leben als Spektakel

Es gibt Firmennamen, die könnten nicht grauer und unauffälliger sein. The Standard zum Beispiel. Vor allem, wenn man bedenkt, dass es sich hierbei um eine Hotelkette handelt, denn: Wer möchte im Urlaub oder auf Geschäftsreise schon demonstrativ standard wohnen? Tja, viele. Zumindest, wenn man Standard mit großem S schreibt. Genau darin liegt der Geniestreich des Hoteliers und Unternehmers André Balazs. Im wörtlichen Sinne hat er mit beneidenswertem unternehmerischem Geschick dafür gesorgt, dass The Standard Hotels sich einen Namen gemacht haben. Und zwar nicht irgend einen, sondern einen, der – so grau und unauffällig er auf den ersten Blick auch scheinen mag – etwas ausstrahlt, das so ziemlich das Gegenteil ist: Jugendlichkeit, ausschweifende Freiheit, Affinität zum Künstlertum, Exhibitionismus. Ja, Exhibitionismus. Aber dazu später.
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Von Motels, Seniorenheimen – und Leonardo DiCaprio

Genau betrachtet beginnt Balazs’ Drahtseilakt zwischen gewachsener Tradition und der richtigen Portion Kühnheit schon bei den Gebäuden, die seine Hotels beherbergen. Mittlerweile sind es deren fünf. Zwei stehen in New York, eines in Miami Beach und zwei in Kalifornien. Bald soll übrigens eines in London folgen, wann genau, ist noch nicht bekannt. Eher untypisch, dafür aber umso passender zum Image von The Standard: Angefangen hat alles dort, wo sonst das meiste endet: in Hollywood. Es war im Jahr 1999, als Balazs die erste Ausgabe von The Standard Hotels am legendären Sunset Boulevard eröffnete. Das Gebäude aus dem Jahr 1962 war ursprünglich als Motel gebaut worden, das den malerischen Namen Thunderbird trug. Ob es nun am Namen lag – The Standard geht ja noch, aber Thunderbird, für ein Motel?! – oder an etwas anderem, das Motel überlebte nicht und wurde kurzerhand zu einem Seniorenheim umfunktioniert. Hier kommt nun die erwähnte Portion Kühnheit von Balazs ins Spiel: Ausgerechnet ein – mittlerweile verlassenes – Seniorenheim kaufte er auf, um eines der jugendlichsten, freiheitsliebendsten Hotelkonzepte umzusetzen, das die USA zu bieten haben. Balazs traf den Nerv der Zeit. Leonardo DiCaprio, Cameron Diaz, Benicio del Toro – wer hat noch nicht, wer will noch mal? Alle investierten sie in Balazs verrücktes Projekt. Dass bis heute der Schriftzug THE STANDARD auf den Fassaden dieses ehemaligen Seniorenheims kopfsteht, ist also Programm.

In Beton gegossener American Dream

Bereits drei Jahre später, im Jahr 2002, eröffnete Balazs die zweite Dependance der Standard Hotels, und zwar in der Innenstadt von L.A. Seine Herangehensweise scheint dabei weniger verrückt als beim ersten Mal gewesen zu sein, dafür aber umso größenwahnsinniger. Den zwölfstöckigen Marmorplattenbau aus dem Jahr 1955, vom damals noch nicht aufgekauften amerikanischen Öl-Giganten Superior Oil Company als neues Headquarter in Auftrag gegeben, erweiterte Balazs durch einen Roof-Top-Pool und eine Bar sowie eine zweistöckige Lobby. Balazs’ Konzept ging auf: 2003 wurde das Standard Hotel von der Stadt L.A. dafür ausgezeichnet, „eine jugendliche Verspieltheit“ in ein so gewichtiges (und mittlerweile denkmalgeschütztes) Gebäude gebracht zu haben. Ähnlich erfolgreich ging es dann im Jahr 2006 mit der Eröffnung in Miami Beach weiter, wo Balazs – wie könnte es anders sein – den richtigen Riecher hatte: Wer nach Miami kommt, tut das meist zum Entspannen. Richtig entspannen. So ist das dortige Standard also weniger ein Hotel als vielmehr ein Spa-Bereich mit Gästezimmern, wo die renommiertesten Yogis der Welt unterrichten, eine dänisch inspirierte Bar für kühlende Atmosphäre sorgt und im Lido-Restaurant allerhand mediterrane Menüs – vor allem Gegrilltes – serviert werden. Doch genauso wie in Hollywood und L.A. wird auch hier das Frei- und Feingeistige kultiviert: Im Hotel selbst sowie auf der Website werden mit Nachdruck kulturelle Events wie Ausstellungen, Konzerte und Partys empfohlen. Sosehr Balazs also jede dieser Standard-Locations ihrem Umfeld anpasst und auch das jeweilige Angebot daran ausrichtet, sosehr bleibt die Grundlinie – um nicht zu sagen: die Grundausstrahlung – einer jeden Location dieselbe: Freiheit, Freigeistigkeit, Lebendigkeit. Balazs’ Standard Hotels sind der in Beton (und Marmor) gegossene American Dream.
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Immer einen Schritt weiter

American Dream, schön und gut. Aber Balazs wäre nicht Balazs, wäre er nicht auch da einen Schritt weitergegangen. Mit seinem bis dato ambitioniertesten Projekt, dem Standard High Line in New York City, stampfte er nicht nur zum ersten Mal ein eigens in Auftrag gegebenes Gebäude aus dem Boden, sondern rüttelte gehörig an der allseits bekannten amerikanischen Prüderie. Im Meatpacking District, bekannt für seine fleischverarbeitenden Großbetriebe und zwielichtigen Nachtclubs, ragt also seit 2008 ein Gebäude mit 337 Zimmern in die Luft, dessen riesige Fenster demonstrativ reflexionsfrei sind. „Exhibitionistisch“, so Balasz augenzwinkernd, sollte das Konzept sein. Noch während der Bauarbeiten ließ er ein Plakat auf dem Gebäude anbringen, das die Gäste dazu einladen sollte, es sich – trotz oder gerade wegen des Baulärms – schon einmal im Hotel gemütlich zu machen. Neben einer eingeölten, halbnackten Frau, lasziver Blick und Hammer in der Hand, war auf diesem Plakat zu lesen: „‚We’ll put up with your banging if you put up with ours“, zu Deutsch: „Wir tolerieren Ihr Gebumse, wenn Sie auch unseres tolerieren.»
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„Lichter, Leder, Ketten. Alles“

Und tatsächlich: Nicht nur (frühere) Besucher des Hotels, sondern auch Bewohner der Häuser gegenüber bekamen schon so einiges zu Gesicht. „Männer mit Frauen, Frauen mit Frauen, Männer mit Männern, ich habe schon alles durch diese Fenster gesehen“, sagt ein Mann, der in einem der gegenüberliegenden Blocks wohnt. „Lichter, Leder, Ketten. Alles.“ Zwar hat Balazs im Herbst 2013 80 Prozent seiner Anteile an den The Standard Hotels verkauft, doch das, was er bis dahin auf Schiene gebracht hat, wirkt dadurch nur umso nachhaltiger und durchdachter. Denn wer genau hinsieht, merkt: Balazs muss das von Anfang an so geplant haben. Das Gebäude gleicht nicht zufällig einem offenen Buch, in das jeder einen Blick hineinwerfen kann – oder es sich, wenn man so will, gemütlich machen kann, um darin zu lesen. Apropos gemütlich machen: Fast schon legendär sind die Toiletten mit Blick auf Midtown und die Duschen mit Blick auf den Hudson River. Dass entsprechende Toilettengeher und Duscher dabei auch gesehen werden können (und wollen?), versteht sich von selbst. Vielleicht destilliert sich ja genau in so einer Toilette oder Dusche das Konzept der Standard Hotels am besten: Die Welt ist eine Bühne – und das Leben ihre spektakulärste Vorstellung.
www.standardhotels.com

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