Limonadisierung und Colasierung statt Regionalisierung:

Zauberwort Terroir.
November 13, 2015

Text: Ing. (Oen.) Richard Großinger, GF Freie Weingärtner Wachau

Ein mann verkostet ein Weiswein In oberflächlichen Zeiten liest man „drüber“ und „lässt es stehen“! Terroir scheint bedrohlich. Was hat es wirklich auf sich mit diesem Zauberwort? Früher im Besitz der Franzosen, ist dieser Ausdruck heute in fast jedem Fachjournal zu finden. Mehr oder weniger klar ist demnach die genaue Definition dieses Begriffs: Terroir beschreibt und beinhaltet alle wechselseitigen Beziehungen von Klima, Boden und Topographie ummittelbar auf dem Rebstockstandort und somit mittelbar auch auf den Wein. Terroir ist somit ein sensorischer Faktor, erkostbar und herkunftsmäßig interessant. Jede Rebe – jeder Wein ist in Besitz einer Art „Geburtsurkunde“ und „Kinderstube“. Klar doch, dass diese vornehmlich auf Top-Lagenweine mit engster Herkunftsbezeichnung zutrifft, bei Massenweinen oder Groß-Cuvées ist dies verwischt und unkenntlich geworden.
Nach dem beispielhaften Qualitätsaufschwung in Österreich nach 1985 kam auch eine technokratische internationale Machbarkeitswelle in die Kellerwirtschaft. Global Players beim Wein setzten Trends in Barriqueausbau, Mostkonzentration, Umkehrosmose und neue Biotechniken. Neue uniforme Weintypen waren am internationalen Markt!
Teils unwissend, staunte der Weinliebhaber nicht schlecht wie „aufmarmeladisiert“ und „downgesoftet“, „schnellverholzt“ und „explosivaromatisch“ so mancher internationaler Tropfen schmeckte. Uniformiert und von dem organoleptischen Resten einer Herkunft und dem „heiligen Respekt“ vom Kulturgut Wein befreit, wurde der Rebensaft machbar! Dem informierten Konsumenten träumte Unheilvolles (Prof. Haushofer), dem Laien gefiel es. War doch jetzt erst wirklich „Geschmackvolles“ da. Am Markt in den 90er Jahren zählten „Style und Profil“ und gaben den modernen Weinmachern Recht.
Endlich ist die Natur um den Rebstock beherrschbar, industrialisierbar, designbar und standardisierbar. Auch neu zu kalkulieren war dieses Produkt und endlich billiger, als mühsam produzierte naturnahe Traditionsweine. Billiger, besser und modern, wen sollte diese Entwicklung stören?! Ist doch egal, wenn ein Australier oder Chilene so schmeckt wie ein Bordeaux! Identität beim Wein, ach Gott, wie verzopft man doch früher war. Hauptsache, die Grenzschwellenwerte von Duft und Geschmack wurden angehoben in Richtung Artifical Drink. Kindergeschmack für Erwachsene?

GEGENBEWEGUNGEN

Schon vor den 2000er Jahren sammelten sich natur- und kulturbewusste Weinfreunde und wirkten mental dagegen. Stuart Pigott griff schon zum Thema individuelle Weinnoten und erklärte dies mit Terroir. Die steirischen Junkerweine haben sich die Vielfalt der Geschmäcker auf die Marketingfahne geheftet und haben Erfolg. Die Wachau als Vinea-Gesamtheit hat sich ebenfalls dieser Uniformierung entgegengesetzt und betont die traditionelle Vinifikation. Die Freien Weingärtner Wachau schwören auf herkömmliche Qualitätsproduktion. Lagen und Terroir sind als Trendsetter mit trockener Steinfeder, Federspiel und Smaragd sogar gegen eine Aufzuckerung, Aufsäuerung und Aufkonzentrierung. Ist nicht das die Moderne, die Zukunft hat? Zurück zur Natur!
Gekünstelte oralsüße Babyphase im Wein ist önoinfantil und hier nicht erwünscht. Auch das ist eine Art von Ökologie und Heimatliebe. Gott sei Dank mit Selbstbewusstsein gepaart, so dass dieser Denkschule auch ein bestimmtes Gewicht zukommt. Wachau und Österreich haben da neue demokratische Wein-Eliten.

WIE WIRD SIE WERDEN, DIE ZUKUNFT?

ein Haus im Kolonialstil inmitten von Weinbergen Wenn es ums Genießen geht, sollte schon das Bessere bevorzugt werden und nicht namenlos großindustriell „Gleichfrisiertes“! Hat man hochwertige Speisen gewählt, so passt einfach nur Gleichwertiges von der Weinseite dazu. Ein wirklich guter Faktor zum Genre ist die Genauigkeit der Herkunftsbezeichnung von Speis und Trank. Beim Wein ist das Region, Lage und am genauesten: Terroir. Individuell und vielfältig. Das fordert noch mehr Wissen, Kompetenz und Erfahrung bei den Sommeliers, erfreut aber den interessierten Gast und Genießer. Wein zum Essen ist aus diesem Blickwinkel „neu“ zu überlegen. So kann Kultur und Wissen eine Freude für Erwachsene sein.
Neben dem vielen „Neuen“ von heute kann man getrost wieder „Älteres“ entdecken: Traditionelle Weinbauregionen mit ihren alten Sortenspiegel, mikroklimatische Räume, diverse Geologieverhältnisse, Terroirvergleiche, Terroirbewertung, Erdgeschichte im Boden und neue Kombinatorik zur Speise/Weinwahl. Önologie, neuer Umgang mit der Natur, neues Kulturbewusstsein, neue Sozialisierung der Winzer. R. Löwenstein, ein Moselwinzer, der sich sehr emotionell in der FAZ dem Terroir als neues Winzer-Selbstverständnis verschrieben hat, meint: „Ein neuer Geist weht in der Weinwelt, sein Name ist Terroir. Er vereint kritische Feinschmecker, engagierte Winzer, vorausschauende Politiker und Naturliebhaber. Jenseits von Coca Cola sammelt er kompromisslose Genießer zu einer Reise in die Welt des authentischen Geschmacks.“
Spaß am Rande: Lassen Sie in lockerer Weinfreunde-Runde, in einer Art Terroirspiel, linear die Federspiele oder Smaragde der Wachau aus Lagen von Spitz bis Dürnstein und Loiben verkosten, z.B. Grüne Veltliner und Rieslinge von Ried Bruck, 1000-Eimerberg, Singerriedel, Hochrain, Kollmitz, Achleiten, Kellerberg und Loibenberg. Sensorisch gewissenhaft verkostet, wird der West/Ost-Faktor dieser Weine erkennbar sein. Nun vertauscht man zwei Weine und soll in einer Blindverkostungsrunde die Lagenreihung wieder herstellen: Das soll Spaß am Verkosten der Wachauer Terroirs bedeuten und keine önoakademische Überforderung sein.

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