F(r)isch aus der Dose
Dosenfutter ist ein typisch deutsches Wort. Weder im Spanischen noch im Portugiesischen und schon gar nicht im Französischen gibt es diesen antikulinarischen Terminus, der Bände spricht. Etwas Essbares, das in eine Blechdose gezwängt wurde, ist gezwungenermaßen kein Genussmittel. Sondern eben Futter. Und so etwas befriedigt maximal niedrige tierische Instinkte. So jedenfalls ist dieses Unwort in unserem Sprachgebrauch aufgeladen.
Dosenfutter ist ein typisch deutsches Wort. Weder im Spanischen noch im Portugiesischen und schon gar nicht im Französischen gibt es diesen antikulinarischen Terminus, der Bände spricht. Etwas Essbares, das in eine Blechdose gezwängt wurde, ist gezwungenermaßen kein Genussmittel. Sondern eben Futter. Und so etwas befriedigt maximal niedrige tierische Instinkte. So jedenfalls ist dieses Unwort in unserem Sprachgebrauch aufgeladen.
In der romanischen Sprachwelt sieht das jedoch etwas anders aus. Lebensmittel im Blechgewand versprühen da in Sachen Lebensgefühl keineswegs Discounter-Aura mit Ekelfaktor. Im Gegenteil: Wird Gutes gut aufbewahrt, dann bleibt es gut. Und tut gut. So lautet der Tenor. Das beste Beispiel dafür: Dosenfisch. Genauer: Sardinendosen.
Je höher die kulinarische Bildung, desto höher die Wertschätzung für Sardinen aus der Dose.
High-End-Fischdosen-Händler Daniel Rietdorf über seine Ernährer-Pyramide
Daniel Rietdorf hat einen noch blumigeren Begriff parat. Er spricht von „maritimen Zeitkapseln“. Der studierte Biologe und Ichthyologe – also Fischwissenschaftler – versorgt mit seinem in der Nähe von Frankfurt ansässigen Unternehmen die Spitzengastronomie mit dem Besten, das es weltweit an Dosenfisch gibt. „Je höher die kulinarische Bildung, sowohl in der Gastronomie als auch bei den Endkunden, umso mehr Wertschätzung erfahren Sardinendosen“, sagt Rietdorf. Es geht also um das Verständnis, dass „die Kombination aus Sardine und hochwertigem Olivenöl eine echte Delikatesse ist“.
Klar, mit der Supermarkt-Fischdose um Einsfünfzig hat diese Köstlichkeit nichts gemein. Das, womit Rietdorf Spitzenrestaurants, Hotels, Bars und Concept-Stores beliefert, ist eher eine lukullische Wissenschaft denn eine blecherne Hülsenfrucht. Was aber macht hochwertige Sardinendosen aus? Wie und wo werden sie hergestellt? Und ist das alles in Anbetracht ausgebeuteter Meere überhaupt noch ethisch vertretbar? Dazu später.
Woher kommt der Fisch?
Historisch gesehen gilt Portugal als europaweit größter Sardinen-Konservenproduzent. Dort hat das Sardinen-Dosen-Handwerk beeindruckende Tradition, die selbst in Zeiten exzessiver Überfischung relativ unberührt geblieben ist. Genauso wie in Teilen Spaniens und der französischen Bretagne.
Daniel Rietdorf kennt all diese Küstengebiete wie seine Westentasche und die Fischer der klein- und mittelständischen Unternehmen alle persönlich. Dabei ist Dosenfisch-Vertriebler im Luxussegment bereits sein zweites berufliches Leben. Zehn Jahre lang leitete er bei einem Zierfischimporteur in Frankfurt die Fischgesundheit sowie die Forschung und Entwicklung. 2013 schließlich entdeckte er auf der Biofach-Messe in Nürnberg Fische in Dosen. Und dem Meeresbiologen fiel es wie Schuppen von den Augen: „Plötzlich habe ich verstanden, dass es einen Markt für qualitativ hochwertige Fischkonserven gibt. Und“, sagt er „dass diese limitierte Naturressource so verpackt werden kann, dass ihre hohe Qualität auch optisch Ausdruck findet.“
Rietdorf spielt dabei auf die künstlerisch gestalteten Verpackungen vieler erlesener Sardinendosen an, die an die Tradition der Kunstwerk-Etiketten legendärer Mouton-Rothschild-Weine erinnern. Doch da wie dort geht es bekanntlich um den Inhalt, ohne den selbst das spektakulärste Chagall-Etikett verblasst. Und wo wir schon beim Wein sind: Was hat es mit dem Begriff „Jahrgangssardinen“ auf sich, der im Zusammenhang mit Dosenfisch auffällig oft fällt?
Die nachhaltige Fangmethode
Am besten lässt sich das Sardinen-Phänomen in Galizien, der Provinz im Nordwesten Spaniens, ergründen. „Dort wird immer noch sehr regional und küstennah in Stellnetzen gefangen“, erklärt Rietdorf. „Nur 400 Fischer haben noch die Lizenz, auf diese Art und Weise zu fangen.“ Eine Form der Fischerei, die gegenüber dem Einsatz konventioneller Ringwadennetze große Vorteile hat. „Mit Ringwadennetzen werden sehr viele Fische auf einmal aus dem Wasser gezogen.
Das bedeutet für die Sardinen sehr viel Stress. Das heißt, sie schütten Cortisol und Stresshormone aus, wodurch sich ihre Muskulatur verdichtet. Das merkt man beim Essen – und zwar deutlich.“ Bei den mit Stellnetzen oder Reusen gefischten Sardinen ist das anders. Diese wesentlich schonendere Fangmethode wird in Galizien „do xeito“ genannt und gilt als spanisches Kulturgut. Rietdorf:„Dabei schwimmt der Fisch ins Netz hinein und verhakt sich darin. Dadurch, dass diese Art der Reuse nur ganz kurze Zeit im Wasser bleibt, hat der Fisch keinen Stress, weil er nicht mit anderen Tausenden in einem überdimensionalen Netz zappeln muss.“ Beim Einholen seien zudem in der Regel geringe Fangmengen in den Netzen.
Das Terroir der Sardinen
Neben der Fangart ist gerade bei den galizischen Sardinen eine weitere Komponente ausschlaggebend, die – wieder in Anlehnung an den Wein – mit dem Begriff „Terroir“ verglichen werden kann. „In Galizien gibt es viele Flüsse, die ins Meer münden“, erklärt Rietdorf. „Das bedeutet, dass dort sehr viele Nährstoffe vorhanden sind. Die Sardinen leben dort also in einer Art Paradies.“ Eine Tatsache, die den Fischen aus Fischersicht besonders gut tut und kulinarisch außerordentlich wertvoll macht. Ein Paradebeispiel für einige wenige Meeresregionen, in denen eben ausgesprochen hochwertige Sardinenfänge möglich sind.
Die Sardinen leben dort im Paradies.
Daniel Rietdorf über die perfekten Bedingungen im Küstenwasser Galiziens
Klare Verhältnisse
Doch der Rohstoff allein macht noch keinen Leckerbissen. Daher hat diese in den berühmten Sardinenregionen Spanien, Portugal und Frankreich eine viele Jahrhunderte alte Handwerkstradition. Die gefangenen Sardinen durchlaufen zunächst einen ähnlichen Prozess wie viele andere an Land gezogenen Meeresbewohner: Einmal im Hafen, geht es dort auf die lokale Fischauktion. „Restaurantbetreiber und Konservenhersteller sind dort anwesend, die Tiere werden in Wannen wie auf einer Börse feilgeboten“, erzählt Rietdorf. Und weiter: „Weil es von den richtig Guten aber nicht richtig viel gibt, kommen auf diesem Bazar immer wieder überraschend hohen Preise zustande.“
Sind die Fische einmal ergattert, geht es für sie direkt in die Verarbeitungsbetriebe. Dort werden sie geputzt, Kopf und Schwanz werden meist weggeschnitten. Arbeiten, die bis heute so gut wie ausschließlich von Frauen verrichtet werden. Auch das ist in diesen Regionen Tradition. Generell ist die Welt im Sardinenbusiness noch ziemlich einfach: Die Männer fahren zur See und fischen. Die Frauen filetieren an Land die Fische, putzen und sortieren sie nach Größe. Danach werden sie „gestoastet“, wie es Rietdorf bezeichnet. Heißt: vorgegart. Entweder mit heißer Luft oder kurz in Öl angebraten.
Im nächsten Schritt kommen sie in die Dose, wo gern Zusatzprodukte wie Gewürze, Zitronen oder Orangen beigegeben werden. Hochwertiges Olivenöl drüber – zack – Deckel drauf und ab zur Sterilisation. In einem sogenannten Autoklaven werden die Sardinen für zehn bis 20 Minuten auf rund 120 Grad erhitzt. „Damit“, schließt Rietdorf, „entsteht eine sogenannte Vollkonserve, in der alle Bakterien tot sind“. Damit ist die Haltbarkeit im Grunde so gut wie ewig. Dennoch wird stets ein Ablaufdatum eingeprägt – in Frankreich etwa gilt als Richtwert acht Jahre nach Abfüllung.
Hohe Preise für die letzte Ölung
Jeder Haltbarkeitsempfehlung zum Trotz halten es Dosenfisch- Gourmets hierbei dennoch wie Sommeliers mit dem Wein: je älter, desto besser. Schließlich sind es gerade sogenannte Spezialabfüllungen, die mit besonders schönen Etiketten versehen sind und als „Jahrgangssardinen“ auf dem Markt landen. Eine Parallele, der Rietdorf recht wenig abgewinnen kann: „Der Begriff ,Jahrgangssardinen‘ ist Humbug“, sagt er. „Alle guten Sardinen werden in irgendeinem Jahr gefischt, und in eine gute Konserve kommen keine Sardinen verschiedener Jahrgänge. Das muss so oder so alles frisch sein.“
Allerdings kann man diese Bezeichnung auch schlichtweg als Hinweis darauf verstehen, dass dieses Produkt mit den Jahren immer besser wird. Und das jedenfalls ist nicht ganz falsch: Das Öl und das Eiweiß der Fische reagieren über die Jahre miteinander. Das führt im Laufe der Zeit zu nahezu cremigem Fischfleisch, das besonders schmeckt. Daraus erklärt sich auch, dass für richtig alte Dosen in Sammlerkreisen schon einmal bis zu 50 Euro bezahlt werden. Und ob dieser Preise die letzte Ölung von Sardinen wirklich rechtfertigt, darf zum Glück jeder Gaumen selbst entscheiden.