Die Küche Südamerikas
Eroberungszug der Südamerikaner
Die gehobene Gastronomie Südamerikas gab es schon vor 2013. Trotzdem ging damals, als die erste 50-Best-Restaurants-Liste den Fokus der sterneverliebten Mitteleuropäer auf die Region richtete, ein Raunen durch die wohlaufgestellten Reihen der bekannten Gastronomie:
Wer sind diese Köche, die im Regenwald nach vermeintlich neuen Produkten suchen, woher nehmen sie das Selbstbewusstsein, ohne bahnbrechende Techniken auf die eigene Küche aufmerksam zu machen, können sie tatsächlich etwas Neues neben Ferran oder René bieten?
Auf einmal tat sich eine neue, tiefgründige, dichte und aufregende Welt auf, ein Dschungel voller Möglichkeiten, ein schmachtender Blick in Richtung der südamerikanischen Staaten, die sich so stark wie noch nie positionierten – und das (fast) ohne Reis und Bohnen.
Ganz so unbeachtet war Südamerika natürlich nicht, aber wirklich bewusst auf dem Schirm hatten es dann doch die wenigsten und das, obwohl es die Revoluzzer des Kontinents wie erwähnt schon vor 2013 gab: Der auffallende Alex Atala ist der bekannteste unter ihnen, aber nur einer von wenigen, die es geschafft haben, die südamerikanische Küche aus dem Schatten von Stachelannone, Lulo und Olluco zu katapultieren.
Die eine Küche Südamerikas gibt es schlicht und ergreifend nicht. Genauso wenig wie es die eine Europäische Küche gibt.
Der Peruaner Gastón Acurio etablierte mit seiner Restauranteröffnung 1994 die Cocina Novoandina – die Küche der fruchtbaren Anden. Kamilla Seidler, eine Dänin, die seit 2012 mit ihrem Restaurant Gustu in Bolivien für Furore sorgt und als bester Female Chef 2016 von der 50-Best-Restaurants-Liste ausgezeichnet wurde, vertritt genauso wie Atala und Acurio die Philosophie der Regionalität.
Alle drei Spitzenköche sind stolz auf das Land, in dem sie leben. Sie bringen reduziert, fokussiert und engagiert eine Küche voller Produktvielfalt auf die Teller. Enrique Olvera betreibt es genauso in Mexiko, Virgilio Martínez in Peru, Rodolfo Guzmán in Chile. Aber was ist das für eine Küche, die die ganze Welt zum Staunen bringt?
Eroberungszug der Südamerikaner
Die gehobene Gastronomie Südamerikas gab es schon vor 2013. Trotzdem ging damals, als die erste 50-Best-Restaurants-Liste den Fokus der sterneverliebten Mitteleuropäer auf die Region richtete, ein Raunen durch die wohlaufgestellten Reihen der bekannten Gastronomie:
Wer sind diese Köche, die im Regenwald nach vermeintlich neuen Produkten suchen, woher nehmen sie das Selbstbewusstsein, ohne bahnbrechende Techniken auf die eigene Küche aufmerksam zu machen, können sie tatsächlich etwas Neues neben Ferran oder René bieten?
Auf einmal tat sich eine neue, tiefgründige, dichte und aufregende Welt auf, ein Dschungel voller Möglichkeiten, ein schmachtender Blick in Richtung der südamerikanischen Staaten, die sich so stark wie noch nie positionierten – und das (fast) ohne Reis und Bohnen.
Ganz so unbeachtet war Südamerika natürlich nicht, aber wirklich bewusst auf dem Schirm hatten es dann doch die wenigsten und das, obwohl es die Revoluzzer des Kontinents wie erwähnt schon vor 2013 gab: Der auffallende Alex Atala ist der bekannteste unter ihnen, aber nur einer von wenigen, die es geschafft haben, die südamerikanische Küche aus dem Schatten von Stachelannone, Lulo und Olluco zu katapultieren.
Die eine Küche Südamerikas gibt es schlicht und ergreifend nicht. Genauso wenig wie es die eine Europäische Küche gibt.
Der Peruaner Gastón Acurio etablierte mit seiner Restauranteröffnung 1994 die Cocina Novoandina – die Küche der fruchtbaren Anden. Kamilla Seidler, eine Dänin, die seit 2012 mit ihrem Restaurant Gustu in Bolivien für Furore sorgt und als bester Female Chef 2016 von der 50-Best-Restaurants-Liste ausgezeichnet wurde, vertritt genauso wie Atala und Acurio die Philosophie der Regionalität.
Alle drei Spitzenköche sind stolz auf das Land, in dem sie leben. Sie bringen reduziert, fokussiert und engagiert eine Küche voller Produktvielfalt auf die Teller. Enrique Olvera betreibt es genauso in Mexiko, Virgilio Martínez in Peru, Rodolfo Guzmán in Chile. Aber was ist das für eine Küche, die die ganze Welt zum Staunen bringt?
Andere Länder, andere Sitten
Zuallererst: Die eine Küche Südamerikas gibt es schlicht und ergreifend nicht. Da könnte man Frankreich, Spanien und Dänemark auch in den Topf der europäischen Küche werfen.
Wem hier ein kalter Schauer über den Rücken läuft, der weiß, wie es sich auf dem fast doppelt so großen Kontinent rund 10.000 Kilometer entfernt anfühlen muss, wenn die mittel- und die südamerikanische Küche mit Reis, Bohnen und ein paar anderen Vorurteilen in der gleichen Cacerola brutzeln müssen.
Es sind die Menschen, die das kulinarische Erbe aufleben lassen und so ihre Spuren auf den Bergen der Anden, im Dschungel um den Amazonas oder in den armen Vierteln in der Nachbarschaft hinterlassen. Und das ganz individuell mit dem Hintergrund des jeweiligen Landes.
Für Alex Atala, Küchenchef des Restaurants D.O.M. in der brasilianischen Stadt São Paulo, liegt sein selbst erklärtes Ziel darin, die Menschen auf einheimische Produkte wie Priprioca, Pupunha, Tucupi oder Sauva-Ameisen aufmerksam zu machen.
Wenn die Nachfrage steigt, haben mehr Kleinbauern und indigene Völker einen Markt, den sie bedienen können, und sie verdienen daran. Zack: Welt gerettet. Na ja, zumindest Brasilien.
Der Einfluss der Einwanderer auf die einheimischen Produkte ist wie in fast jedem anderen Land unterhalb der texanischen Grenze enorm groß. Schneller, nahrhafter und überhaupt viel besser seien alle mitgebrachten Pflanzen. Der Weg zu einer vermeintlich funktionierenden Gesellschaft, der Fortschritt wurde vorgeschrieben, mit der Konsequenz, dass einheimisches Obst, Pilze oder Gemüse am Feld weichen mussten. Übrig blieb weißes Mehl.
Das kann und will Atala nicht akzeptieren und macht mit bekannt gewordenem erhobenem Mittelfinger seine Küche Brasiliens mit Produkten fern vom Massenmarkt zu einer der beliebtesten weltweit. Das Mehl der Buriti-Palme oder jenes aus Weintrauben sind nun einmal spannender als Weißmehl.
Deshalb hat Atala das Institut ATÁ gegründet, um das kulinarische Erbe des Amazonas zu schützen, und holte damit sogar den Preis „Eckart 2013 für kreative Verantwortung und Genuss“ ins eigene Land. Genauso wie seine Technik: Atala lernte bei Jean-Pierre Bruneau, Bernard Loiseau und Ferran Adrià. Er schaffte es, die Brasilianer mit ihren eigenen Produkten von ihrem französisch und spanisch geprägten Verständnis von gehobener Gastronomie zu lösen.
Von Musterschülern und Draufgängern in Peru
4200 Kilometer weiter westlich verhält sich auch Virgilio Martínez ganz so, wie es sich für einen Entdecker gehört. Von der 2300 Kilometer langen Küste bis rauf auf die fruchtbaren Anden ist er in enger Zusammenarbeit mit der Iniciativa Mater (einem Zusammenschluss von Köchen, Anthropologen, Forstwissenschaftlern und Industriellen) immer auf der Suche nach vergessenen oder noch nicht in der Küche etablierten Schätzen der Natur, die er erforscht und kategorisiert.
Dem Unbekannten die Chance zu geben, sein ganzes Aroma zu entfalten – das ist die tägliche Aufgabe von Martínez.
So wie die kleinen Algen, die streng genommen gar keine sind, die auf 3000 Meter Seehöhe, in der Provinz Cusco, in kleinen Frischwasser-Pools entstehen, die vom Regenwasser gebildet werden. Die Cyanobakterien sind kleine Kügelchen mit einem Durchmesser von ein bis zwei Zentimetern und essbar. Die Cushuro passen perfekt zur Tunta.
Die frostresistente Isco-Kartoffel – in Peru, dem Heimatland der Knolle, gibt es über 3000 verschiedene Sorten – wird auf natürlichem Weg in 4200 Meter Seehöhe über Nacht gefriergetrocknet. Das entzieht ihr das Wasser, zusätzlich zur Sonne, die am nächsten Tag für noch mehr Austrocknung sorgt.
Durch mehrfache Wiederholungen entsteht die Tunta, die den „Tränen der Bitterkeit“ – der Cushuro – einen erdigen Einfluss bescheren. Auch Martínez lernte über zehn Jahre hinweg in Europa und Asien die Technik, die er heute in Lima anwendet, und zwar mit Erfolg: Er führt die 50-Best-Restaurants-Liste der besten Restaurants Lateinamerikas an.
Und das mit seiner Interpretation der peruanischen Küche, von der in Europa lediglich Ceviche angekommen ist. In Martínez’ zwei Londoner Restaurants gibt es übrigens kaum Überschneidungspunkte mit dem peruanischen Flagship. Die europäische Klientel bekommt klassische peruanische Gerichte – auf Spitzenniveau, aber ohne bittere Tränen oder getrocknete Isco.
Die meisten Spitzenköche Südamerikas lernten das Handwerk in Europa. Die Individualität gelingt durch landestypische Produkte.
Martínez erinnert an den neugierigen Musterschüler, der in penibler Kleinstarbeit durch die Felder streift. Auf kommerziellem Weg in etwas größerem Stil hat Gastón Acurio die peruanische Küche international aus der Versenkung geholt – und zwar schon 1994 mit der Eröffnung seines ersten Restaurants Astrid y Gastón.
Er gilt bis heute als einer der renommiertesten Köche Lateinamerikas. Acurio wusste schon damals, dass Peru mehr als Meerschweinchen zu bieten hat. Er ist Inhaber internationaler Restaurants, eines Cafés und einer Konditorei in Lima, Santiago de Chile, Bogotá, Quito, Caracas, Buenos Aires, Mexiko-Stadt, Panamá, Madrid und London.
Seit 2008 gibt es peruanische Restaurants unter dem Namen La Mar, eine Cavicheria, neben Lima auch in den USA in San Francisco und New York sowie in Mexico-Stadt, São Paulo, Panamá und Bogotá. Insgesamt besitzt Acurio 40 Restaurants weltweit. Daneben hat er in seinem Heimatland Peru eine eigene Fernsehsendung. Alles mit dem Ziel, seiner Heimat und dem geliebten peruanischen Streetfood etwas zurückzugeben.
Für Land und Leute
Unter den Frauen bildet Kamilla Seidler die Spitze der gehobenen Gastronomie: Als beste Köchin Südamerikas wurde die Dänin, die sich in Bolivien mit dem Claus-Meyer-Restaurant Gustu in die erste Liga kochte, von der 50-Best-Restaurants-Liste ausgezeichnet. Im bolivianischen La Paz zeigt Seidler als Chefin des Sozialprojekts mit integrierter Kochschule, das als Restaurant getarnt ist, die New Bolivian Kitchen.
Südamerika: Produktreichtum auf der einen und Armut der Bevölkerung auf der anderen Seite.
Mit sozialer Verantwortung, Wegen aus der Arbeitslosigkeit plus der indigenen Experimentalküche lässt noma-CEO Claus Meyer Bolivien dem nordischen Vorbild folgen. Dabei geht es um 100 Prozent bolivianische Produkte von Kleinbauern, die fair bezahlt werden. Für Seidler ist der faire Umgang mit Bauern wichtiger als das beste Produkt.
Außerdem legt sie viel Wert auf die Produktvielfalt und Biodiversität. Klar machen sehr viele Bauern ihr Tagesgeschäft mit Quinoa, weil es überall auf der Welt boomt, aber das schränkt die Vielfalt des Landes ein. Also versucht Seidler, die Bauern davon zu überzeugen, auch Amarant oder andere Gräser anzubauen, um die Fruchtbarkeit des Bodens nicht zu gefährden.
So kann sich Seidler von der typischen bolivianischen – womöglich einseitig anmutenden – Küche mit Fleisch, Reis und Bohnen trennen. Nicht umsonst ist Albert Adrià rund 10.000 Kilometer entfernt so begeistert von der bolivianischen und südamerikanischen Produktvielfalt, dass er sie in Form von Nikkei-Food in sein japanisch-peruanisches Restaurant Pakta bringt.
Mit Liebe und Guacamole für die Tradition
In Mittelamerika ist es Enrique Olvera, der patriotisch und kulinarisch das Land über die Landesgrenzen hinweg von den Vorurteilen befreien will. Taco ist nicht gleich Taco. Chili con carne ist nicht einfach Hackfleisch mit Bohnen. Alleine der Umgang mit Chili treibt unwissenden Europäern Tränen in die Augen – und das nicht, weil Chili „nur“ scharf ist.
In der mexikanischen Küche werden über 350 verschiedene Chilisorten zum Würzen und verfeinern genutzt, die neben Schärfe auch erdige Aromen, frische, zitronige oder Thai-Noten ins Gericht bringen. Für Olvera ist ein zentraler Ausgangspunkt: Die mexikanische Küche ist nicht ausschließlich deftig, sie kann auch voller Reinheit und subtiler Eleganz sein.
Nicht einfach nur Scharf: In der mexikanischen Küche gibt es bis zu 350 verschiedene Chilisorten.
Und das, obwohl er gerne Volksessen als Basis seiner Kreationen nutzt, um sie auf Sterneniveau anzuheben. In seinem Restaurant Pujol pickt er raffiniert die Highlights heraus, die ihm das Land an Tradition und Vielfalt liefert. Das äußert sich dann in reinstem Avantgardismus als Sauerrahm, Kakao, Macadamia und – bewusst – verrottete, sprich fermentierte, schwarze Bananen oder Kaffeebohnen-Mayonnaise mit Ameisenpulver und im Kürbis geräucherten Baby-Maiskolben.
Olvera steht für diese authentische mexikanische Küche, die er über die Landesgrenzen in die offenen Münder schiebt und für die er patriotisch einsteht. Ein weiterer Genussbotschafter, der versucht, die vielseitige Andenküche aus den Bergwipfeln in die Welt zu tragen, ist Rodolfo Guzmán.
Seine avantgardistische Endemic Cuisine, die geprägt ist von regionalen Produkten seines Heimatlandes Chile, ist das Ergebnis seiner Ausbildung. Mit einem Diplom als Biochemiker rutschte er durch einen Kochkurs in die Materie – und die Ausbildung. In Spanien – damals auf dem Höhepunkt der modernen Küche – verfeinerte er sein Können.
Mehrere Stationen formten seine Handschrift, die in der Eröffnung des eigenen Restaurants Boragó in Santiago de Chile ihren Höhepunkt findet. Immer im Mittelpunkt: die Verbindung zwischen Mensch und Natur. Und die ist reichhaltig: Nicht umsonst vertritt er die Meinung, dass man in Chile kulinarischer Multimillionär ist.
Maqui-Beeren, Kra-Kra-Fische, weiße Erdbeeren, seltene Pilze, die schon vor der Einwanderung der Spanier von indigenen Völkern genutzt wurden – für ihn ist die Einheitsküche, die unterschiedlichste Missionare versucht haben zu integrieren, nicht das, wofür es sich lohnt, tagein, tagaus dem Beruf zu folgen. Er stolpert auf den Spuren seiner Berufung über den Reichtum des Landes.
Eines scheinen alle extrem guten Köche in Südamerika gemeinsam zu haben: Das Engagement für das eigene Land ist grenzenlos. Die Fruchtbarkeit wird neu entdeckt, zelebriert und gefördert. Genauso wie die Experimentierfreude.